1. Teaser

„ich frög mich, was genau macht man dert obe im himmel?“

„was isch überhaupt wenn man genau 50 % bös und 50 % gued sind?“ (Albertino, 11 Jahre)

Die beiden Aussagen dieses Schülers einer 5. Klasse aus der vorliegenden Studie zeigen exemplarisch auf, dass Kinder sich den grossen Fragen des Lebens[1] stellen. Dazu gehört wesentlich auch die Frage nach dem Jenseits. Die Religionspädagogik arbeitet seit geraumer Zeit heraus, warum dieser Konfrontation im Kindesalter enorme Wichtigkeit zukommt.[2] Der vorliegende Artikel konturiert auf der Grundlage empirisch-qualitativer Ergebnisse, welche Konstruktion die Schüler:innen (SuS) auf das grosse Thema – das Jenseits – entwickeln, wenn man ihnen religionspädagogisch geeignete Zugänge dazu ermöglicht und sich mit ihnen gemeinsam auf den Weg des Nachdenkens, Fragens und Artikulierens begibt.

2. Einleitung

Die aktuelle fachwissenschaftliche Diskussion macht deutlich, warum die Behandlung des Themas „Jenseits“ im Kindesalter enorme Wichtigkeit zukommt.[3] Durch das gemeinsame Suchen nach Antworten auf die Frage, was nach dem Tod kommt, sind Kinder bestenfalls in einer späteren Konfrontation fähig, auf die gewonnenen Erkenntnisse zurückzugreifen und die ausgelösten Emotionen besser in Worte zu fassen und damit zu verarbeiten. Gleichwohl ersetzt der Religionsunterricht keine therapeutische Herangehensweise; kein Religionsunterricht der Welt kann Kinder vor dem Schmerz des Verlusts eines nahestehenden Menschen bewahren.[4] Da die Gesellschaft den Tod jedoch häufig tabuisiert, kann der Religionsunterricht ein Gefäss bilden, in dem diese Ängste der Kinder einen Platz finden dürfen.[5]

Diesen existenziellen Fragen und Ängsten der Kinder einen Raum zu bieten, bildet eine der grössten Stärken des Religionsunterrichts. Er möchte dabei einen Rahmen bieten, der zum gemeinsamen Weiterdenken und Suchen anregt. Die Kinder werden in ihren Äusserungen wahrgenommen und geachtet. So kann der Religionsunterricht einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, in dem er vieles anspricht, was diese zu verdrängen versucht.

Eine konstruktivistische und subjektorientierte Kindertheologie gibt dieser Stärke des Religionsunterrichts ein Gesicht. Eines ihrer Hauptanliegen zielt auf die Befähigung der Kinder zur Artikulation ihrer (religiösen) Vorstellungen und Gedanken. Sie differenziert sich in methodischer Vielfalt: klassisch im theologischen Gespräch, wobei die Kinder mit ihren theologischen Konstruktionen im Mittelpunkt stehen – ihre Gedanken, Äusserungen und Wissen gelten als denen von Erwachsenen gleichwertig – Kinder werden so zu Theologinnen und Theologen.

Eine Durchsicht der religionspädagogischen Fachliteratur zeigt auf, dass ein Grossteil der Publikationen beim Todes- und Trauerprozess[6] stehen bleibt, während Jenseitsvorstellungen von Kindern im deutschsprachigen Raum kaum zur Sprache kommen – und ebenso aufgrund mangelnder empirischer Daten noch ein religionspädagogisches Schattendasein fristen.[7]

Somit wagt der vorliegende Artikel einen ersten Schritt zur Bearbeitung dieser Forschungslücke, indem er in seinem Hauptteil Ergebnisse einer aktuellen Forschungsstudie (03/2022) zu Jenseitsvorstellungen von SuS einer 5. Klasse in Zürich vorstellt. Weiter soll mit dem Artikel eine theoretische Grundlage für die praxisorientierte Umsetzung eines theologischen Gesprächs mit Kindern im Religionsunterricht zum Themenkomplex des Jenseits gelegt werden.

Der Artikel folgt dabei dieser Fragestellung:

Welche Vorstellungen besitzen die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse des ausserschulischen Religionsunterrichts einer ausgewählten Pfarrei aus Zürich gegenüber dem Leben nach dem Tod?

Neben der Beantwortung der Fragestellung werden durch die Analyse der kindlichen Konstruktionen für die Kinder wichtige Themenfelder hervorgehoben, die eine Erklärung für das Zustandekommen der kindlichen Präkonzepte bieten sollen.

Um diese Ziele zu erreichen, ist der Artikel folgendermassen aufgebaut:

In einem ersten Schritt wird die theoretische Grundlage gelegt, die sich aus verschiedenen Perspektiven zusammensetzt: Vorerst werden die Vorstellungen über das Jenseits als theologisch-dogmatische Grundlage erarbeitet, die insbesondere die katholische Vorstellung bis Mitte des 20. Jahrhunderts prägten. Anschliessend wird der Blickwinkel auf die Kindertheologie gerichtet sowie das Bilderbuch mit seinen Potenzialen für die Umsetzung im RU skizziert. Weiter wird eine entwicklungspsychologische Sicht eingenommen, indem bereits erforschte kindliche und jugendliche Vorstellungen im Hinblick auf Tod und Jenseits dargestellt werden, um daraus in einem späteren Schritt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Ergebnissen der vorliegenden Studie ableiten zu können

In einem zweiten Schritt wird das Forschungsdesign erläutert, um daraufhin die zentralen Ergebnisse der Untersuchung (mit Transkriptbeispielen) und Analyse der Zürcher SuS darzustellen und zu diskutieren.

Neben der Präsentation der Untersuchungsergebnisse dient der Artikel der praktischen Planung und Umsetzung von Religionsunterricht zu diesem Thema. Entsprechende Unterrichtsmaterialien stehen zur Verfügung.

3. Theoretischer Hintergrund und Perspektiven

3.1 Das Leben nach dem Tod: Skizzierung einer dogmatischen Perspektive

Der traditionellen katholischen Vorstellung bis Mitte des 20. Jahrhunderts folgend, trennt sich im Tod die unsterbliche Seele vom sterblichen Leib. Die (leiblose) Seele gelangt zum besonderen Gericht, das nur für sie individuell bestimmt ist. Der Gerichtsentscheid hält drei Optionen offen:

1. Die Seele tritt in die ewige Verdammnis ein (Hölle).

2. Die Seele tritt in die ewige Seligkeit ein (Vollendung).

3. Falls noch Sündenstrafen zu sühnen sind, gelangt die Seele nach dem Tod in die Läuterungszeit (Purgatorium) und anschliessend in die ewige Seligkeit.

Die Leiber aller Menschen werden hingegen erst am letzten Tag der Weltgeschichte auferweckt und mit den Seelen wiedervereint. An diesem jüngsten Tag wird das allgemeine Gericht vor Augen aller Menschen mit Leib und Seele gehalten. Danach existiert nur noch die ewige Verdammnis oder die ewige Seligkeit.[8]

Die ewige Verdammnis (Hölle) ist, theologisch gesehen, als Gottesferne zu bezeichnen. Gott schenkt den Menschen die Freiheit und erlaubt ihnen somit auch die Möglichkeit, sich gegen seine Liebe und sein Heilsangebot zu stellen.[9] Die ewige Verdammnis – ein autonomer Entschluss zur Getrenntheit mit Gott – ist in dieser Weise keine Strafe, die von aussen dem Menschen auferlegt wird, sondern der Mensch bürdet sich durch seine radikale Ablehnung des Beziehungsangebotes Gottes die Strafe selbst auf.[10]

Für die Bezeichnung der Vollendung oder auch der ewigen Seligkeit werden in der Eschatologie verschiedene Begriffe wie: Neues Jerusalem, Himmel, Paradies, Hochzeit oder ewiges Leben verwendet. Allgemeiner wird dabei fälschlicherweise die Ewigkeit als unendlich verlängerte Zeitperiode assoziiert. „Er [der Begriff ewiges Leben] meint vielmehr die Fülle des Lebens, die Grenzenlosigkeit eines Glücks, das – bruchstückhaft und begrenzt – schon in guten Erfahrungen des gegenwärtigen Lebens aufscheint. […] Es ist nicht Ersatz für das gegenwärtige Leben, sondern dessen Vollendung.“[11]

Unter dem Purgatorium (Fegefeuer) wird der klassischen katholischen Sichtweise nach, ein nach dem Tod anhaltender Prozess für jene Menschen verstanden, die noch Sündenstrafen zu sühnen haben. In diesem Prozess werden die noch nicht für die Vollendung mit Gott reifen Menschen an die ewige Seligkeit herangeführt. In Verbindung mit dem Gericht und dem Gebet für die Toten zeigt sich das finale Ziel des Purgatoriums: nicht die endlose Quälerei, sondern die Rettung.[12]

Der Glaube an eine leibhaftige Auferstehung geht von einem „personalen Leibverständnis“[13] aus. Dieses umfasst den ganzen Menschen mitsamt seiner je eigenen Lebensgeschichte und seinen Erfahrungen. Durch seine Auferstehung wird damit auch ein Stück Welt vollendet. Das jenseitige Leben ist dadurch nicht als Ersatz für das diesseitige zu verstehen. Demnach erfolgt keine Erlösung von der Welt, sondern mit der Welt.[14] Der Theologe Hans Kessler erläutert diese relationale Vorstellung von leibhaftiger Auferstehung wie folgt: „Leibhaftige Auferstehung meint daher nicht ‚Wiederauferstehung’ im Sinn von Wiederherstellung, nicht Fortsetzung, Verbesserung, Steigerung des jetzigen biologischen Lebens, sondern etwas radikal Neues: ‚Leibhaftiges’ Aufgenommenwerden der Person, das heißt mit ihren Relationen aus der vergänglichen materiellen Lebensform in die radikal andere Ewigkeitsdimension Gottes und damit in eine neue, nicht mehr physikalisch-biologisch zu fassende Seinsweise, in radikal andersartiges, unzerstörbares Leben.“[15]

Kann dieser komplexe theologische Gedanke von Kindern verstanden und in ihrem eigenen Horizont gedeutet werden? Darauf versucht das folgende Kapitel, Antwortmöglichkeiten zu skizzieren.

3.2 Skizzierung einer kindertheologischen Perspektive

Die Kindertheologie gilt als erfolgreiches und fruchtbares religionsdidaktisches Konzept, das seit vielen Jahren kaum noch aus den deutschsprachigen Lehr- und Bildungsplänen des konfessionellen Religionsunterrichts der Primarstufe wegzudenken ist.[16] Im LeRUKa (Lehrplan für den konfessionellen Religionsunterricht und die Katechese der Deutschschweiz) kann das Konzept der Kindertheologie vor allem in Zyklus 1 und 2 verortet werden, da diese Zyklen auf das Kindesalter von fünf bis acht, resp. neun bis zwölf Jahren ausgerichtet sind.

Zimmermann charakterisiert die Kindertheologie insbesondere mit den Konturen einer konstruktivistischen und subjektorientierten Theologie.[17] In unserer Untersuchung wird insbesondere die existenziale und persönliche Theologie der Kinder ersichtlich. Demzufolge ist es konsequent, den Kindern Raum zu geben, ihre Lebenswelt, ihre individuellen Erfahrungen, ihre Fragen und Gedanken, Vorstellungen und auch (Jenseits-)Hoffnungen wahrzunehmen und zu verstehen.[18]

Als didaktische Überlegung, um adäquat über Hoffnung und Trauer mit SuS sprechen zu können, schlägt die Religionspädagogin Monika Jakobs für den RU kindertheologische Zugänge als eine geeignete Perspektive vor.[19] Insbesondere für unterrichtliche Lehr-Lernsettings besitzen kindertheologische Gespräche Potenzial, die Teilnehmenden als selbständige, religiöse Subjekte mit ihren religiösen Konstruktionen und Deutungsmustern wertzuschätzen. Somit ist es möglich, die Kinder und Jugendlichen auch in ihren lebensnotwendigen Grundfragen, sowohl in der kognitiven Weiterentwicklung als auch in der emotionalen Sicherheit zu stärken, „so dass ein eigener Standpunkt gefunden und diskursiv vertreten werden kann.“[20]

Didaktisches Potenzial für den kindertheologischen Ansatz enthalten entsprechende Kinder- bzw. Bilderbücher. Henneke stellt jedoch fest, dass die zahlreich vorhandene Kinderliteratur zum Thema Tod und Sterben nur selten die eschatologische Perspektive eigens mit berücksichtigen.[21] Gleichzeitig sei an dieser Stelle noch zu bemerken, dass sich die Qualität der Bücher zum Thema Tod und Jenseitsvorstellungen durchaus unterscheidet und daher unbedingt vorab spezifisch das Medium und dessen Eignung überprüft werden sollte.[22] Das für unsere Untersuchung gewählte Bilderbuch: Lakritzbonbons von Sylvia van Ommen hat sich einerseits in der Praxis des Religionsunterrichts bewährt und ist andererseits wissenschaftlich reflektiert worden.[23]

3.3 Kindliche und jugendliche Vorstellungen zum Tod und dem Jenseits: Skizzierungen einer entwicklungspsychologischen Perspektive

Für die Herausbildung von kindlichen und jugendlichen Vorstellungen spielen direkte und indirekte Todeserlebnisse eine zentrale Rolle. Indirekt sind jene, die massenmedial vermittelt werden. Gut aufgearbeitete Medien ermöglichen es den Kindern, sich in die Gefühlswelt der Protagonistinnen und Protagonisten hineinzuversetzen. Die Begegnung mit dem Tod durch mediale Überflutung hingegen kann zu einer Abstumpfung führen, weil der Tod nicht als Wirklichkeit begriffen wird, da die sterbenden Menschen oder Tiere in keiner Beziehung zum Kind stehen. Direkte Todeserlebnisse im engeren Umfeld des Kindes hingegen lösen Emotionen, Ängste und Trauer aus, denn die Unwiderruflichkeit des Todes wird konkret spürbar.[24]Aktuelle Theorien, welche altersspezifische Todesverständnisse beschreiben, beziehen sich sowohl auf die entwicklungspsychologische Theorie von Jean Piaget als auch auf Ergebnisse der bahnbrechenden Studie von Marie Nagy von 1948.[25] Neuere Forschungsarbeiten entwickeln diese Ansätze weiter. Festzuhalten ist, dass vier Dimensionen sich als relevant für die Beschreibung erwiesen haben:

  • Nonfunktionalität (d.h. alle Funktionen und Mechanismen des Körpers werden eingestellt)
  • Irreversibilität (d.h. eine Endgültigkeit des Todes)
  • Kausalität (d.h. biologische Faktoren und Einflüsse führen zum Tod)
  • Universalität (d.h. alle Menschen/Tiere werden sterben) [26]

Erst bei der Entwicklung der letztgenannten Universalitätsdimension verstehen Kinder und Jugendliche wirklich, dass der Tod für alle Lebewesen unvermeidbar ist.

Exemplarisch sollen abschliessend kindliche und juvenile Konstruktionsmöglichkeiten von Sterblichkeit umrissen werden, da sich diese im Verlauf der Forschungsarbeit mit den kindertheologischen Aussagen der SuS in Beziehung setzen lassen.

Im Alter von sechs bis acht Jahren werden Zusammenhänge über Ursache-Wirkungs-Gefüge verstanden. Verantwortlich für das Sterben und den Tod sind z.B. Krieg, Mord und Verkehrsunfälle, die klar mit einer Personifizierung des Todes einhergehen und der Tod als: „schwarzer Mann“, „Teufel“ oder „Sensenmann“ bezeichnet wird.[27] Auch in der oben genannten Studie von Nagy personifizieren ein Drittel der Kinder im Alter von fünf bis neun Jahre den Tod.[28]

Bei Jugendlichen lassen sich eine Vielzahl von heterogenen Jenseitsvorstellungen skizzieren. Gleichzeitig haben sich in der aktuellen Forschung unterschiedliche Idealtypen herauskristallisiert.[29]

  1. Nach dem Tod kommt das Nichts und alles ist vorbei und abgeschlossen. Dabei werden traditionelle und kindliche Jenseitsvorstellungen abgelehnt.
  2. Im Kontext von Pop-Literatur und Hollywood-Blockbuster-Produktionen äussern sich Jugendliche über eine jenseitige Welt, in der der Geist des Menschen weiter besteht und zu dem man ggf. auch in Kontakt treten kann.
  3. Die christliche Eschatologie bietet ebenso Trost und Perspektive für Jugendliche, indem das Jenseits mit dem rein dualistischen Konzept von Himmel und Hölle dargestellt wird.
  4. Aktuell sind im juvenilen Alter auch Reinkarnationsvorstellungen weit verbreitet. Dabei geht es um ein modernes Erklärungsmuster für den Sinn des Lebens, der im Kontext des Kreislaufes vom Werden und Vergehen, wie z.B. in der Natur, zu verstehen ist, und mit der eschatologischen Perspektive auf persönliche Fortexistenz zusammenhängt.[30] In einer österreichischen Jugendstudie haben Forscherinnen und Forscher diese Reinkarnationsvorstellungen ebenfalls herausgearbeitet und wie folgt beschrieben: „[Für] das Leben nach dem Tod scheint die dynamische Vorstellung der Wiedergeburt plausibler als das statische Bild eines ewigen Lebens im Jenseits […] In die Vorstellungen der Wiedergeburt dürfte vielmehr der Wunsch einfliessen, dass das Leben in der Welt nie aufhört bzw. immer neu beginnt  [… ] [und] im Sinne der heutigen Erlebnisorientierung ständig ein neues Programm geboten wird.“[31]

Einige Kinder entwickeln, wie wir auch in den folgenden Ergebnissen der Forschungsarbeit sehen werden, in dieser Zeit Vorstellungen über eine Wiedergeburt, die angstvermindernde Mechanismen beinhalten, denn wie in der Natur mit ihrem Zyklus des Vergehens und Werdens, kann man sich dabei vorstellen, dass auf den Tod neues Leben folgt. [32]

Die SuS der vorliegenden Forschungsstudie einer 5. Klasse sind im Alter zwischen 10 und 11 Jahren. Somit können einerseits mit dem Beginn der Pubertät alle vier oben skizzierten Dimensionen begreifbar werden – andererseits wird sich zeigen, dass sich aufgrund des individuell unterschiedlichen Entwicklungstempos auch die Konstruktionsleistungen der SuS unterscheiden.

3.4 Einblick in die Ergebnisse einer Vergleichsstudie von Michaela Wicke

Im evangelischen Religionsunterricht führte Michaela Wicke in Kassel (Deutschland) in zwei vierten Klassen drei Lektionen über Jenseitsvorstellungen durch, mit dem Ziel, Jenseitsvorstellungen der SuS zu erheben. An den theologischen Gesprächen mit einer 4. Klasse nahmen insgesamt 12 Mädchen und 16 Jungs teil.[33] Um eine Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen unserer Studie herstellen zu können, sollen im folgenden Wickes Ergebnisse kurz präsentiert werden:[34]

  • Bei allen Kindern sind Jenseitsvorstellungen, auszumachen, die sich jedoch stark unterscheiden. Wicke zählt auch die Vorstellung des „Nichts“ zu den Jenseitsvorstellungen.
  • Unter Allgemeine Jenseitsvorstellungen kategorisiert Wicke alle Vorstellungen, die nicht direkt in eine klassische Jenseitsvorstellung eingeordnet werden konnten. So zum Beispiel fällt der oft in den Wolken verortete Himmel darunter; dort treffen sich Menschen und Tiere und begutachten das Geschehen auf der Erde. Unter derselben Kategorie finden sich auch Äusserungen zum Nichts und zur Wiedergeburt.
  • Unter christlich geprägte Vorstellungen fällt die Unterscheidung zwischen Himmel und Hölle. Der Himmel wird dabei als etwas Überirdisches gedacht, in dem der stark anthropomorph gedachte Gott die Menschen in sein Himmelreich einlädt. Am Diesseits orientiert sind im Himmel auch Häuser, die Schutz und Sicherheit bieten. Nach Wicke ist es schwierig für Kinder, eine Unterscheidung zwischen dem planetaren Himmel und dem Glaubenshimmel zu vollziehen, da die deutsche Sprache nur ein einziges Wort dafür kennt. Auch die Beschreibungen der Seele werden unter diesem Punkt verortet. So wird die Seele beispielsweise von einem Kind als Teil des Menschen und als guter Geist beschrieben. Interessanterweise äussern andere Kinder auch Kritik an Jenseitsvorstellungen, besonders, wenn sie im Konflikt mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stehen.
  • In der Kategorie sonstigeJenseitsvorstellungen werden von Wicke Konstruktionen zur Wiedergeburt und Fantasiegedanken, die durch Science-Fiction-Filme geprägt sind, verortet.
  • Eindrucksvoll sind auch die vielen Hoffnungsvorstellungen, in denen die verstorbenen Familienmitglieder, Freunde und Bekannte im Jenseits wiedergesehen werden können.

Insgesamt stellt Wicke fest, dass Kinder ihre Vorstellungen zum Tod und Jenseits entwickeln und erweitern wollen, da sie nach Sicherheit und Geborgenheit in Bezug auf existenzielle Themen suchen.[35] Nahezu alle Kinder glauben an einen Himmel, auch wenn wenige fruchtbare kritische Fragen gestellt werden. Wicke schliesst daraus, dass eine Hoffnungsperspektive auf das Wiedersehen mit verstorbenen Bezugspersonen und Tieren für Kinder dieses Alters zentral ist.

4. Forschungsdesign

Die hier beschriebene Untersuchung von Jenseitsvorstellungen von SuS der 5. Klasse entstand im Rahmen einer schriftlichen Abschlussarbeit am Religionspädagogischen Institut (RPI) in Luzern.

Dabei konnte, wie in der Einleitung skizziert, mit dem Blick auf deutschsprachige Forschungsliteratur ein klares Forschungsdesiderat für den Deutschschweizer Kontext aufgezeigt werden.[36]

Die forschungsleitende Fragestellung des vorliegenden Artikels lautet:

Welche Vorstellungen besitzen die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse des ausserschulischen Religionsunterrichts, einer ausgewählten Pfarrei aus Zürich[37], gegenüber dem Leben nach dem Tod?

Für die Datenerhebung wurde am Samstag, 15. Januar 2022 ein ca. 30-minütiges kindertheologisches Gruppengespräch durchgeführt und mittels eines Audiogerätes aufgezeichnet. Das theologische Gespräch stellte den Hauptteil der zweistündigen Unterrichtslektion dar. Insgesamt nahmen 11 SuS, davon 6 Jungen und 5 Mädchen, daran teil. Vor dem Gespräch wurden die Kinder schrittweise mittels der Bilderbuchgeschichte „Lakritzbonbons“ von Sylvia van Ommen und einer kurzen Einzelarbeit ins Thema und ans Gespräch herangeführt.[38] Da das Bilderbuch bereits einige Antwortmöglichkeiten im Verlauf des Buches vorgibt, welche die Vorstellungen der Kinder beeinflussen könnten, wurde die Geschichte zuerst nur bis zur Frage der Häsin Jule: „Ist dort was“?[39] erzählt.

Worum geht es genau in dem Kinderbuch „Lakritzbonbons“?
Das Bilderbuch handelt von zwei Freunden, dem Kater Oskar und der Häsin Jule, die sich in einem Park treffen, um gemeinsam Lakritzbonbons zu essen. Durch die Frage, ob sie auch noch nach dem Tod gemeinsam Lakritzbonbons essen werden, gelangen sie in ein theologisch-philosophisches Gespräch.
Zuerst bestand die Aufgabe für die SuS in Einzelarbeit darin, eine Postkarte von der erfundenen und bereits verstorbenen Grossmutter an Jule und Ossi zu schreiben. Die Kinder versetzten sich dadurch in die Lage der verstorbenen Grossmutter und schrieben über den Ort, an dem sie sich ihrer Meinung nach befindet.

Mit dieser Postkarte wurde das Ziel der zuerst persönlichen Auseinandersetzung mit den eigenen Jenseitsvorstellungen verfolgt. Zudem entsteht durch die fiktive Grossmutter eine gewisse (emotionale) Distanz zum Unterrichtsgegenstand. Ausdrücklich wurden von der Lehrperson in der vorangegangenen Erklärung der Aufgabe keine Begriffe verwendet, die eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod hervorrufen könnten, da die Kinder möglichst wenig beeinflusst werden sollten.

Die eigenen persönlichen Jenseitsvorstellungen brachten die SuS in das daran anschliessende theologische Gruppengespräch ein. Während des ca. 30-minütigen Gesprächs beschränkte sich die Lehrperson darauf, die Diskussion zu moderieren und an geeigneten Stellen neue Impulse zu setzen.

Nach dem Gespräch folgte eine längere, kreative und haptische Verarbeitungsphase in Einzelarbeit. Durch verschiedene Methoden (Arbeiten mit Kneten, Erstellen einer Collage oder Malen der eigenen Vorstellung auf eine Postkarte) brachten die SuS ihre Jenseitsvorstellungen nonverbal zum Ausdruck. Anschliessend wurde die Unterrichtsstunde durch das Erzählen des Endes der Bilderbuchgeschichte von der Lehrperson abgeschlossen.

Das aufgenommene Gespräch wurde anschliessend transkribiert und mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring analysiert und interpretiert.[40] Der vorliegende Artikel kann nicht das gesamte Kategoriensystem darstellen und beschränkt sich auf die aus unserer Sicht wichtigsten, erkenntnisreichsten und fruchtbarsten Sequenzen der kindertheologischen Konstruktionen.

5. Einblicke in die Jenseitsvorstellungen der Zürcher 5. Klässler

Ganz im Sinne der Kindertheologie sollen die nun folgenden theologischen Gedanken der Kinder durch die Interpretation und die Vergleiche zu bisherigen Forschungsergebnissen Anschluss an den religionspädagogischen Diskurs finden. Die Aussagen der Kinder regen demnach neue Fragen und Denkanstösse an, die sowohl die Diskussionen im (Schweizer) religionspädagogischen Diskurs beeinflusst als auch einen kleinen Beitrag zur Entwicklung einer Eschatologiedidaktik leisten.

Bei unserer Auswahl legen wir den Fokus auf Vorstellungen von Seele, Himmel und Hölle, Reinkarnation, das von uns benannte „Jenseitsdilemma“[41] sowie Handlungen und Tätigkeiten im Jenseits.

Das kindertheologische Gespräch beginnt durch den folgenden Impuls der Lehrperson, indem die SuS ihre bisherigen Überlegungen der Einzelarbeit nun ins gemeinsame Plenumsgespräch einbringen können:

013Lehrer

und wemmer etz midenand dünd (–) zäme redä (-) denn gads um die frage (-) ist dort was und was kommt nach dem tod (—)

wär möcht gärn mal(-) das verzellä wo (-) ungefähr wien ihrs ufgschribä händ

Impluls der Lehrperson

5.1 Kindliche Vorstellungen zur Seele

Die Kinder äussern sich dazu in verschiedener Weise:

029Amalia [42]aso man kommt äm ins graab
030Lehreraha
031 (3.5)
032Amaliaja man kommt einfach ins grab das denk ich
038Mila   vilicht chunnd mer in himmel oder (-) so
045Linuserst kommt ins grab dann kommt geht deine seele in den
046 himmel
047Lehreraha
048Linusund dann ist deine seele im himmel

Äusserungen der Kinder

Amalia sowie im Anschluss daran Linus beschreiben zuerst eine Grablegung. Gleich anschliessend an die Grablegung äussern sich die Kinder dazu, dass „man“ in den Himmel kommt. Linus unterscheidet in der Sequenz oben weiter zwischen dem Körper und der Seele. Darauf folgen weitere Konstruktionen der Kinder zur Beschreibung der Seele:

049Lehrerund was isch denn gnau dseel (–) wie würsch das
050 beschribä (–)
053Amaliadas geist in dir
076Linus äm aso wenn wenn ich den als gEISt ufegang aso bin ichs
077   ja immer no ich nur i minere seele und nöd in ächt
081Mila 

ich würde die andere am charakter äm erkenne vilicht

 Weitere Aussagen zur Beschreibung der Seele

In diesen drei Darstellungen der Seele erkennt man eine persönliche-individuelle Dimension der Seele. Diese relationale Rückbindung jeder Seele an jedes Individuum bildet bei diesen beiden Kindern die Möglichkeit, sich im Himmel wiederzuerkennen. Dies wird ersichtlich zum einen in Linus’ Aussage, „dass man immer noch sich selbst ist“ und zum anderen an Milas Beschreibung, dass sie ihr Gegenüber weiterhin am Charakter erkennen würde. Die Aussagen der Kinder stehen sowohl in Kontrast als auch in Verbindung zur dogmatischen Auseinandersetzung des Eschaton. Denn einerseits wird das Eschaton der Kinder nicht als etwas radikal Neues gedacht, sondern die bisherigen Lebenserfahrungen setzen sich im Jenseits fort. Andererseits verstehen die Kinder, wie Kessler, die leibliche Auferstehung in einem relationalen Charakter zum eigenen Sein, in welchem die ganze Lebensgeschichte mitsamt aller Beziehungen mit vollendet wird.[43]

5.2 Kindliche Vorstellungen zum Himmel

Der Himmel ist eines der zentralsten Themen, das in der Gruppe besprochen wird:

433Albertinowas (–) ich frög mich (–) was genau macht man dert
434 obe (3.0)
435Lehrer wo meinsch obe (–) chaschs gnauer bennee
436Albertinoim himmel

Besprechung Himmel

Wie die Sequenz zeigt, wird der Himmel dabei mit „oben“ lokalisiert. Eine Erklärung für die Lokalisation findet sich im Kontext des deutschen Himmelsbegriffs. Nicht alle SuS sind bereits imstande, zwischen Glaubenshimmel und dem planetarischen Himmel zu unterscheiden. Auch Wicke sieht das Grundproblem hier in der deutschen Sprache, welche die Unterscheidung zwischen sky und heaven, wie sie im Englischen besteht, nicht kennt.[44] Unserer Meinung nach lässt sich jedoch diese „Himmelssynthese“ nicht allein auf die Sprache zurückführen. Schon bei vielen biblischen Texte ist von einer Lokalisation des Himmels im oberen bzw. der Hölle im unteren Bereich die Rede.[45]

Auch die folgende Beschreibung der SuS des Himmels durch Farben stützt die These einer Himmelssynthese, da primär die Farbe Blau erwähnt wird und Sterne im Himmel verortet werden.

151Lehrerwenn ihr jetzt würdi male wie das würd dert usgeseh
152 (2.0) was für farbe würdid ihr bruche (-) was für
153 sache würdid ihr zeichne (-) derte wo de himmel isch
154Schüleralles blau (im hintergrund)
156Casparich (unverständlich) brucht gälb (-) blau
160Linuswiis und blau
164Amaliaaso (-) blau und wiis und da de himmel isch blau und
165 (-) äm die sterne sind wiis und bizli schwarz drüber

 These einer Himmelssynthese

In den anschliessenden Sequenzen werden weitere Beschreibungen und Assoziationen zum Himmel durch die Kinder deutlich:

81Lehrerund isch es derte (—) chalt oder heiss oder wie fühlt
182 mer sich derte wie isch datmosphäre derte
183Schülerheiss (flüsternd im hintergrund)
184Casparsicher
186Casparja äm mer fühlt sich sicher
188Lehrermer fühlt sich sicher (–) Amalia
189Amaliaes isch no warm und (es chund) chli kalt und
190 

chund chli warm (-) es isch eifach en gueti temperatur

 weitere Assoziationen zum Himmel

Ein Kind beschreibt den Himmel als einen Ort der Sicherheit, ein weiteres als Ort, an welchem eine angenehme Atmosphäre herrscht.

Dieser Gesprächsabschnitt zeigt, dass einige Kinder teilweise fähig sind, sich von der Himmelssynthese zu lösen. In ihren Aussagen über die Atmosphäre im Himmel wird deutlich, dass die Kinder einen Ort beschreiben, an dem andere Gesetzlichkeiten als im planetaren Himmel herrschen. Auch Wicke beschreibt, dass sich viele Kinder den Himmel als einen Ort der Sicherheit vorstellen, in dem primär am Diesseits orientierte Häuser einen Schutz bieten. Dieser Sicherheitsgedanke, verstärkt durch die Idee einer angenehmen Temperatur – ist auch in den Aussagen der Zürcher Kinder zentral.[46]

5.3 Kindliche Vorstellungen und Antwortversuche zum sog. „Jenseitsdilemma“

Im Verlaufe der folgenden Sequenz sprechen die Kinder über Gottes Zuordnung der Menschen zu Himmel und Hölle. Dabei macht Albertino darauf aufmerksam, dass alle Menschen gute sowie schlechte Taten aufweisen und es daher oft gar nicht klar ist, wo der Mensch zugeordnet werden soll. Zuvor stellt Amalia aber fest, dass gute Menschen in den Himmel kommen.

106Amaliadie guete lüüt ufe ins himmel chömed (…)
272Albertinowas isch überhaupt wenn man (-) 50 % 50 % genau sind
273 (-) 50 % bös und 50 % gued

gute Menschen kommen in den Himmel

Auf dieses Dilemma gaben die Kinder drei unterschiedliche Antwortversuche. Als Erstes wird auf zwei verschiedene Arten ein Todesaufschub skizziert: 

281Milaman stirbt eifach nie
282Lehrermer stirbt nie
283Linusisch ja cool
284Lehreraso (–) muess mer denn (-) 100 % gued si oder 100 %
285 schlecht si dass mer stirbt
286Schülerja

Skizze Todesaufschub

Weiter spricht Amalia in einer anderen Weise von einem Todesaufschub. Sie umschreibt in der folgenden Sequenz ein weltliches Purgatorium, in dem der Mensch noch zu Lebzeiten versuchen muss, „besser“ oder „schlechter“ zu werden, um im Jenseits seinen Platz finden zu können.

335Amalia(wenn mer) so 50 % gued und schlecht isch (–) denk ich
336 äm mer söttid versueche (-) better zsi oder äm (-)
337 versueche schlächter zsi äm (-) nachher gönds sie wenn
338 sie schlächter wärded gönds id höll (-) wenn sie guet
339 wärded gönd äm (-) gönd sie (-) in himmel
341 sie versuched nett oder schlechter zwerde

 Idee von weltlichem Purgatorium

In Amalias Aussage wird ebenso das Thema der Gerechtigkeit ersichtlich.[47] Nur aufgrund dieser ist die Zuweisung in den Himmel oder in die Hölle möglich.

Die Kinder sind der Widersprüchlichkeit der Vorstellung von einem Gottesgericht, das nur Gut und Böse kennt, auf die Schliche gekommen. Niemand ist nur gut oder böse – die Kinder entwickeln hier für dieses Problem eine erste Lösung.

Eine weitere Erklärung entwickeln zwei Schüler, in dem sie im Falle dieses Dilemmas von einer Mitsprachemöglichkeit der Menschen in der Entscheidungsfindung sprechen.

9Linusdann chammer entscheide
290Lehrerme chann entscheide (-) aso wie wie meinsch chann mer
291 entscheide
292Schülerjede so wien er wött (flüsternd im hintergrund)
293Linusdenn chunnd en engel zu dier (-) und denn frögt er dich
294 was dänksch wo chunsch ane und (-) denn seisch (…)
300Phillipman cha sälber entscheide (-) aso (-) ma chann äm (–)
301 äm säge (-) mer möcht gern döt id höll oder (-) in
302 himmel chO und denn gat ängel zu gott (-) und seid ihm
303 das und gott überleid sich denn das (-) wo er ane
304 chunnd (-) genau

Dilemma von einer Mitsprachemöglichkeit

Als Letztes spricht Gabriel von einem Test, der schlussendlich die Entscheidung bringen soll.

353Gabrielich glaub (-) wenn man 50 % guet und schlächt isch (-)
354 dass man zum bisipil (-) es gott und en tüfel zäme
355 irgendwo wo ich jetzt kei ahnig han wos isch (—)
356 und nachher tünd sie so wie frages wie en test mache und nachher tünd sie so wie frages wie en test mache

 Annahme von einem Test

Diese Vorstellung zeigt auf, dass es für die SuS von zentraler Bedeutung ist, dass sie das Bedürfnis nach einer eindeutigen Regelung von ausgleichender Gerechtigkeit nach dem Tod haben. Damit zeigt sich, dass Gerechtigkeit (s. o. die Sequenz von Amalia) und Selbstverantwortung wichtige Faktoren im Leben der Kinder darstellen. Der Gedankengang der Kinder folgt der Logik, dass jedem Menschen das zuteilwird, was ihm auch gebührt. Auch bei Jakobs zeigt sich das Thema der Gerechtigkeit als zentral bei eschatologischen Fragen Jugendlicher.[49]

5.4 Kindliche Vorstellungen zur Hölle

Im kontrastiven Vergleich zu den oben erfolgten Beschreibungen der Kinder zum „Himmel“, soll es in diesem Abschnitt um die Darstellungen und Assoziationen der Kinder zur Hölle gehen:

233Lehrervorher hend ihr au no gredet gha vo de Höll (–) und
234 da möcht ich üch nomal die glich frag stelle wie bim
235 himmel (-) wie gsehts denn dert us (…)
260Milaich glaub alles dert isch rot (-)
266Gabrielund es isch alles derte alles schWARZ (-) stei
267 es gid lava (-) und (-) man isch wie lebend derte

Assoziationen zur Hölle

Wie in der ersten Sequenz deutlich wird, verbinden die SuS die Hölle mit dunklen Farben, wie schwarz und rot. Ein Kind beschreibt eine heisse sowie dunkle Atmosphäre in der Hölle; insbesondere Lava und Feuer soll dort vorzufinden sein. Ferner wird von den SuS erläutert (s. folgende Sequenz), warum der Mensch dort hingelangt:

239Phillipi de höll isches heiss
240Lehreres isch heiss
241Phillipund überall isch füür (-) und mer fühlt sich schuldig
242Lehrerwieso fühlt mer sich schuldig (-) wie chunsch zu dere
243 ussag
244Phillipwill mer ja öbbis böses gmacht hed (-) susch chunnt mer
245 ja nid id höll

 Beschreibung Hölle

Phillip verdeutlicht an dieser Stelle, dass Schuld und böses Handeln als Grundvoraussetzung für die Zuordnung in die Hölle gelten. An diesen Gedanken schliesst Amalia an. Sie beschreibt die Hölle als eine Art Strafanstalt, in welcher die schlechten Menschen als Diener für den Teufel, der mit einem Schwert auf einem Thron sitzt, arbeiten.

247Amaliaes isch heiss und es gid gitTER (-) wo hinter däre
248 recht viel mensche sind (-) und (-) die arbeitet au
249 für de [teufel
251 ufem grosse stuehl wo sis schwert näbedra hed
255 de tüfel äm so wie de chef und schlechti mönsche sind
256 sini diener und er sitzt ufem thron (-) und es isch au
257 ganz dunkel derte

Hölle als Strafanstalt

Eindrücklich sind an dieser Stelle die Assoziationen von Amalia zur Personifizierung des Bösen in der Hölle, dem Teufel[50], der mit königlichen Attributen (Thron und Schwert) skizziert wird und in der Dunkelheit über die schlechten Menschen, seine Diener, herrscht.

Zusammenfassend kann hier in den unterschiedlichen Sequenzen zur Hölle, in Verbindung mit den Darstellungen des Himmels (s. oben), ein Dualismus der kindertheologischen Jenseitswelten von Himmel und Hölle beobachtet werden. Diese Beobachtung entspricht den Ergebnissen von Piaget/Inhelder sowie von Kuld/Rendle/Sauter.[51]

Ein einzelner Schüler weist eine personifizierte Vorstellung über den Teufel auf, indem er den letzten verstorbenen Fussballtrainer von Manchester United, die den Spitznamen „The Red Devils“ tragen, mit dem Teufel verbindet. Die entsprechende Äusserung ist in ähnlicher Form wenige Minuten zuvor, jedoch recht leise in einem Seitengespräch der SuS, zu hören und wird nun nochmals laut vor der Klasse artikuliert:

63Gabriel   ich glaub (-) es gid en tüfel und das isch immer de
264 letschte trainer vo manchester united wo stirbt

 Teufel als “The Red Devils”

In dieser Sequenz zeigt sich die assoziative Verbindung des Teufels mit Gabriels Lebenswelt – dem Fussball. Zudem wird an diesem Beispiel deutlich, dass nicht alle Aussagen der Kinder theologisch weiterführen.

5.5 Kindliche Vorstellungen zur Reinkarnation

Die Kinder sprechen in verschiedener Weise von Wiedergeburt. Mila beschreibt dabei als Erstes eine Wiedergeburt in Gestalt eines Tieres.

407Milaaso ob du gued oder schlächt bisch chasch es tier wärde
408 oder (so) vilicht wännd ja eher (-) gued bisch chasch
409 es tier wärde wo äm me glück hed im läbe und (–) wenn
410 du zu schlecht bisch den wirsch du zum bispiel es tier
411 was nid so gued im läbe (–) isch

Vorstellung von Wiedergeburt als Tier

Albertino fragt anschliessend in die Runde, ob auch die Reinkarnation – nun als Mensch – in dieselbe Familie eine mögliche Option darstellt:

587Albertinoaber ich han nur eini frag (…)
589 ich frög mich (-) wenn man stirbt (–) frög ich mich
590 immer würd man in gliche familie werde oder würd man
591 in en andere familie gah

 Menschliche Wiedergeburt

Die SuS beantworten seine Fragen folgendermassen:

601Amalia aso (-) man blibt i de gliche famili FAMilie und stirbt
602 ja eifach nur (-) das heisst nöd dass mer (-) grad
603 öbber anders wird und in en anderi familie äm gönd
610Lehrerwas dänksch denn du (-) Albertino
611Albertinoäh ich dänk dass man i de gliche familie wird
616Casparaber wenn me (-) ähm wieder i de gliche familie wird
617 (–) weiss mer wer man früener gsi isch

Antworten der Schüler:innen

 Auf einer konzeptionellen Ebene betrachtet, unterscheiden sich die Aussagen der SuS zu wissenschaftlichen Deutungen. Reinkarnation bedeutet in der Regel eine Rückkehr in die Welt; dies jedoch in einer anderen Existenzform und ohne Vorwissen über das vorher gelebte Leben. Der oben bereits beschriebene Synkretismus verschiedener Konzepte wird hier wieder deutlich. Die Kinder möchten auch nach dem Tod weiter mit Familie und Freunden vereint sein. D. h.: Sie wünschen sich, das bereits positiv erlebte Leben weiterführen zu können. Mila übernimmt dabei die Zuordnungskriterien des christlichen Konzepts von Himmel und Hölle auf die Wiedergeburt.

5.6 Kindliche Vorstellungen zu Handlungen und Tätigkeiten im Jenseits

Für einen abschliessenden Einblick in die kindertheologischen Konstruktionen der Zürcher 5. Klasse sollen die Sequenzen zusammengestellt werden, in denen es um die Vorstellungen geht, welchen Handlungen und Tätigkeiten man im Jenseits nachgeht. Der Schüler Albertino fragt im Verlauf des Gesprächs:

433Albertinoich frög mich (–) was genau macht man dert
434 obe (3.0)
435Lehrerwo meinsch obe (–) chaschs gnauer bennee
436Albertinoim himmel

Frage zu den Tätigkeiten im Jenseits

Ausgehend von dieser Nachfrage, die wiederum einer Theologie der Kinder zugeordnet werden kann, schliessen folgende Vorstellungen der Mitschüler:innen an:

441Casparpennä (…)
451  oder zockä (…)
466 ich hätti gschlafe (-) gässe und zockt (…)
458Phillipwiterläbe wie uf de erde (…)
460Gabrielman macht was mer am meischtä gern hed

 diverse Vorstellungen

Für die SuS zeigt sich der Himmel hier mit seinen interessanten „Handlungsoptionen“ als attraktiv.[52] Es werden von den SuS Konstruktionen vom Jenseits deutlich, in denen das Leben wie vor dem Tod jetzt positiv im Himmel weitergeht.[53] Amalia geht im Vergleich zu den Vorrednern einen Schritt weiter, indem sie sagt:

488Amalia(…) ich würdi (–) äm alles mache was ich dune uf der
489 erde nid mache könnti (2.5)

Antwort von Amalia

Sie formuliert die Absicht, die Dinge zu tun, welche sie auf der Erde nicht machen könnte.

Der Schüler Albertino, der die Frage aufgeworfen hat, beantwortet diese u.a. mit:

472Albertinoich würdi mini huustiere spiele (–) will ich rechtig
473 viel aso bi portugal han (-) scho vieli (-) katze
474 verlore (-)

 Antwort von Albertino

Damit skizziert Albertino die Vorstellung, mit seinen Haustieren – den Katzen, von denen er schon viele in Portugal verloren hat, spielen zu wollen. Deutlich wird hier in Anlehnung an eine (nicht repräsentative, mit 90 Kindern durchgeführte) Studie von Jakobs die Parallele, dass sich das Jenseits als Ort charakterisieren lässt, an dem sich verstorbene Tiere und Menschen wiedersehen können und besonders eine positive Beziehung zwischen Mensch und Tier herrscht.[54]

Es zeigt sich, dass die SuS Hoffnungsbilder – hier für den Himmel formulieren, in denen die positive Atmosphäre des familiären Alltags (insb. der Beziehungs- und Handlungsgestaltung) vor dem Tod ins Jenseits übertragen wird und dort seine Fortführung findet.[55]

6. Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Ausgangsfrage der Untersuchung lautete: „Welche Vorstellungen besitzen die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse des ausserschulischen Religionsunterrichts, einer ausgewählten Pfarrei aus Zürich, gegenüber dem Leben nach dem Tod?“.

Anhand der hier ausgewählten Sequenzen konnten zentrale Themen und Konstruktionen der Kinder deutlich gemacht werden. Die wichtigsten werden nun zusammenfassend rekapituliert:

Das Eschaton der Kinder

Die kindertheologischen Beschreibungen des Eschaton zeigen deutlich auf, dass sie sich von der dogmatischen Auseinandersetzung unterscheiden. Das Eschaton der Kinder stellt eine Fortsetzung des bisherigen gut gelebten Lebens dar, wobei hierbei Negatives nie artikuliert wurde.[56] Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die evangelische Religionspädagogin Elisabeth Naurath, die feststellt, dass sich die kindlichen Jenseitskonstruktionen oft als Fortschreibungen und Weiterentwicklungen ihrer Lebenswelt deuten lassen.[57] Diese Deutungen widersprechen der Theologie, nach der das Eschaton als eine radikale Änderung in der Ewigkeitsdimension beschrieben wird, bei gleichzeitigem Glauben an die leibhaftige Auferstehung. Dieses Paradoxon überfordert den Verstehenshorizont nicht nur der Kinder, sondern auch vieler erwachsener Christinnen und Christen.

Sicherheit und Geborgenheit

In den Aussagen der Kinder kamen diese beiden Themenfelder mehrmals zum Ausdruck. Der Himmel stellt ein Ort der Sicherheit dar, in dem das getan wird, was man bereits gerne auf der Erde macht oder all dies, „was ich dune uf der erde nid mache könnti“. Die Atmosphäre wird dabei als angenehm beschrieben. Wie bereits weiter oben erwähnt, lassen sich ganz verwandte Themen auch bei Jakobs und bei Wicke wiederfinden. Auch die bei der Reinkarnation geäusserten Vorstellungen der Kinder zur Wiedergeburt in dieselbe Familie zielen in dieselbe Richtung – das bereits gelebte, harmonische und geborgene Leben soll so weitergeführt werden können.

Hoffnungsvorstellungen – und das „Nichts“?

Dieselben Aussagen sowie die Vorstellung der Wiedervereinigung mit den verstorbenen Haustieren zeigen auf, dass die von den Kindern geäusserten Jenseitsvorstellungen Hoffnung schenken. Wicke interpretiert diese kindlichen Paradiesvorstellungen als Bewältigung der Angst vor dem Nichts.[58] Ob dies auch für die Züricher SuS zutrifft, lässt sich nicht beantworten, da das Nichts als „Jenseitsvorstellung“ im theologischen Gruppengespräch von keinem Kind thematisiert wurde.

Gerechtigkeit

In allen Äusserungen der SuS über das Gottesgericht, das die Menschen in den Himmel oder in die Hölle schickt, ist es für die SuS von zentraler Bedeutung, dass dies gerecht erfolgt. Deutlich wird dies an den Beschreibungen, dass ein Test die nötige Klarheit geben soll oder, dass der Mensch den Tod so lange aufschieben kann, sodass er noch zu Lebzeiten versuchen kann, besser oder schlechter zu werden. Auch die Reinkarnation funktioniert gemäss einer Aussage nach derselben Logik. Wer ein gutes Leben geführt hat, wird in ein glückliches Leben reinkarniert. So formuliert zum Beispiel die Schülerin Mila: „Vilicht wännd ja eher (-) gued bisch chasch es tier wärde wo äm me glück hed im läbe.“

Synkretismus

Milas Aussage zur Wiedergeburt als glückliches Tier (siehe oben unter Gerechtigkeit) zeigt zudem exemplarisch einen Synkretismus im Denken der Kinder. Die Logik des christlichen Konzepts von Himmel und Hölle wird auch für die Reinkarnation übernommen. Dies bestätigen bereits die Grundlagenartikel von Jakobs sowie die Forschungsarbeiten von Kuld/Rendle/Sauter und Troy.[59] Im Sinne der Theologie für Kinder bietet dieser Synkretismus zudem einen Ausgangspunkt, die verschiedenen eschatologischen Konzepte der einzelnen Religionen in darauf anschliessenden Unterrichtseinheiten differenzierter zu behandeln, um den Kindern weitere Möglichkeiten anzubieten, ihre Fragen und Gedanken zu vertiefen.[60]

Mitentscheid und freier Wille

Im Unterschied zu den anderen Studien ist bei der vorliegenden Studie der Zürcher SuS der freie Wille des Menschen besonders wichtig. Zwei Jungen sprechen von einem Mitspracherecht, wenn für Gott die Zuordnung in Himmel und Hölle unklar bleibt: „Dann chammer entscheide“ […] „jede so wien er wött“. Die Menschen dürfen dann Gott ihre Meinung mitteilen und entscheiden. Dies ist eindrücklich, weil auch die dogmatischen Perspektiven die Hölle als willentlichen und freien Entschluss des Menschen, das Liebesangebot Gottes abzulehnen, definiert. Zudem leben die Zürcher Kinder in einem politischen System und Schweizer Kontext, der geprägt ist von einem direkten Demokratieverständnis, in dem sie im Erwachsenenalter über viele Mitbestimmungs- und Partizipationsmöglichkeiten verfügen.

Dualismus / Personifikation des Bösen

Der Dualismus des Jenseits von Himmel und Hölle, den bereits Piaget und Inhelder sowie Kuld/Rendle/Sauter in ihren Studien bekräftigen, konnte auch in der vorliegenden Studie nachgewiesen werden. Das Böse wird dabei ebenso personifiziert, wie verschiedenste Aussagen der Kinder zeigten. So wird insbesondere der Teufel mittels der königlichen Attribute wie Schwert und Thron, der über seine Diener herrscht, beschrieben.

Anhand der ausgearbeiteten Themenfelder wird zusammenfassend deutlich, warum der Themenkomplex der kindlichen „Jenseitsvorstellungen und -konstruktionen“ im Religionsunterricht der Mittelstufe nicht fehlen darf: Die SuS werden befähigt, gerade im Angesicht der Endlichkeit allen Lebens, für sie adäquate Hoffnungsperspektiven zu existentialen Fragen zu entwickeln, in denen sie bestenfalls Sicherheit und Geborgenheit finden können. Gleichzeitig haben sie die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückzugreifen und Fragen zu formulieren, denen sie weiter nachgehen möchten.

7. Ausblick

Zusammengefasst kann resümiert werden, dass Kinder Antworten auf die grossen Fragen des Lebens finden möchten. Sie zeigen sich dabei äusserst neugierig, kreativ und interessiert und können dabei über eine längere Unterrichtsphase an einem theologischen Gruppengespräch aufmerksam teilnehmen.

Weiter lässt das von den SuS angesprochene Fortführen des bisher gelebten Lebens im Jenseits eine wichtige Differenzierung der kognitiv-wissensorientierten eschatologiedidaktischen Ziele zu.[61] In einer weiteren Auseinandersetzung damit könnten adäquate religionspädagogische Lehr-Lern-Settings entwickelt werden, die die Abkopplung der Jenseitsvorstellung von der Alltagsvorstellung thematisieren.

Dasselbe gilt für den vorherrschenden Synkretismus von christlichen und hinduistischen bzw. buddhistischen Jenseitskonzepten. Im Sinne der Theologie für Kinder können Lehrpersonen durch gezielte fachliche Reflexionen, Kinder weiter in ihrem Denken und Wissen anregen. Beispielsweise könnten in Folgelektionen die Jenseitskonzepte der verschiedenen Weltreligionen aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive einzeln betrachtet und miteinander verglichen werden.

Nicht ausser Acht gelassen werden sollte, dass durch die Besprechung des Jenseits im selben Schritt ebenso die bestehenden Gottesbilder der Kinder weiterentwickelt werden können.[62] Im besten Fall kann ein theologisches Gespräch diese Vorstellungen anregen, ihre Gottesbilder zu konkretisieren und ggf. zu erweiterten, sodass gerade eher angsteinflössende Bilder neu konturiert werden können.

Doch nicht nur Kinder können von kindertheologischen Gesprächen profitieren. Auch Erwachsene werden durch die Auseinandersetzungen und Diskussionen angeregt, ihre Vorstellungen durch die Aussagen der Kinder zu überprüfen. Nur dann kann es gelingen, dass die in der Einleitung beschriebene gesellschaftliche Tabuisierung zur Sprache kommt und gemeinsam bearbeitet werden kann. Die beiden Zürcher Jungen sind uns Erwachsenen vermutlich hier bereits einen Schritt voraus: „dann chammer entscheide“. Denn die befreiende Liebe Gottes hört auch auf den von ihm geschenkten freien Willen seines menschlichen Gegenübers.

Im Fokus des Unterrichts stand die Förderung der Kompetenz 2B „Religiöse Ausdrucksweise in Tradition und Gegenwart unterscheiden, deuten und eigene Ausdrucksformen finden“. Der Inhalts- und Handlungsaspekt 2B-4 des LeRUKa erwähnt dabei explizit Jenseitsvorstellungen als Themenvorschlag. Folgende Lernziele wurden für den Religionsunterricht definiert:

  • Die SuS machen sich Gedanken über das, was nach dem Tod folgt.
  • Die SuS äussern ihre Vorstellungen über das, was nach dem Tod folgt und begründen ihre Vorstellung.
  • Die SuS diskutieren untereinander und mit der Lehrperson über die Frage, was nach dem Tod kommt.