Von Schönheitsnormen und Optimierungsdruck

Sich im eigenen Körper zuhause zu fühlen ist keine Selbstverständlichkeit: Schönheitsnormen, Behindertenfeindlichkeit, Optimierungsdruck und Geschlechterklischees machen das Erleben des eigenen Körpers oft zur zwiespältigen Angelegenheit. Es wird gemessen, gezählt und streng beobachtet – vom Haarwuchs zum Darmbakterium bis zum Geschlechtsorgan. Was nicht passt, wird passend gemacht. Der Körper soll sich gut einfügen in die Welt und die Gesellschaft. Nicht zu auffällig und sonderbar soll er sein, aber bitteschön auch nicht langweilig oder unscheinbar. Wie kann da ein selbstbestimmtes Embodiment erlebt und gestaltet werden?

Für den englischen Begriff Embodiment gibt es leider keine adäquate deutsche Übersetzung. Embodiment betrifft ein zentrales Grundlagenproblem sowohl der Philosophie als auch der Psychologie: das sogenannte Leib-Seele-Problem. Die Frage, wie man den Zusammenhang zwischen «Leib» (also Körper, Materie, Gehirn) und «Seele» (also Kognition, Psyche, Denken) fassen soll, ist eine fundamentale Frage, die sich durch die gesamte Geschichte der Philosophie zieht. Eine wichtige Grundlage für ein deutschsprachiges Verständnis von Embodiment haben Storch/Cantieni/Hüther/Tschacher mit ihrem Grundlagenwerk «Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen» geschaffen.

Körpergedächtnis?

Die Verflechtung von Geist und Körper noch «dichter», denkt Bonnie Bainbridge Cohen (*1943), die Begründerin der Körper- und Tanzarbeitsmethode «Body-Mind Centering» (BMC). Sie beschreibt den Prozess von Embodiment als Kontinuum von «durchlässiger Kommunikation zwischen dem inneren und äusseren Erleben». Diese Durchlässigkeit bedeutet: Es ist nicht nur so, dass sich psychische Zustände im Körper ausdrücken («nonverbal» als GestikMimik, Körperhaltung), es zeigen sich auch Wirkungen in umgekehrter Richtung: Körperzustände beeinflussen psychische Zustände. Beispielsweise haben Körperhaltungen, die eingenommen werden, Auswirkungen auf Kognition (z. B. Urteile, Einstellungen) und Emotionalität. Bonnie Bainbridge Cohen verortet zudem eine Art «Bewusstsein» in allen Geweben und Zellen des Körpers und spricht von einem «bodily mind». Im Alltag, aber auch beispielsweise in der Traumatherapie, sprechen wir vom Körpergedächtnis. Dieses kann sich auch in Situationen melden, die mit dem Bewusstsein nicht erfasst werden: Ein Geruch, ein Geräusch oder eine Aussage kann eine physische Reaktion hervorrufen, auch wenn wir diese mit dem Bewusstsein nicht verstehen oder einordnen können.

«Man kann nicht nicht kommunizieren»

Das ganze Embodiment spielt eine grosse Rolle in der Kommunikation: Die Kommunikationsforschung geht davon aus, dass etwa 93% der Kommunikation nonverbal abläuft. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick hat den berühmten Satz geprägt: «Man kann nicht nicht kommunizieren» – also auch dann, wenn wir beispielsweise keine verbalen Äusserungen machen, kommuniziert der Körper. Das Gegenüber ist durch die Spiegelneuronen mehr oder weniger in der Lage, diese Signale wahrzunehmen. Durch die Erforschung der Spiegelneuronen ist deutlich geworden, dass Resonanz das Überleben der menschlichen Spezies sichert. Die Spiegelneuronen bieten das neurobiologische Werkzeug für das Lernen durch Nachahmung und sie dienen dazu, das Gegenüber einzuschätzen. Spiegelneuronen sind grundlegend für die Empathiefähigkeit des Menschen – damit für Solidarität, Beziehungsfähigkeit, Nächstenliebe.

Auch im Unterricht spielt Embodiment eine grosse Rolle: Somatische Resonanz, also das ganz-körperliche «Lesen» der Spiegelneuronen geschieht zu grossen Teilen unbewusst. Damit beispielsweise eine Lehrperson ein klares, resonanzfähiges Gegenüber für Schüler*innen sein kann, muss sie nicht nur in wacher Aufmerksamkeit zuhören und die eigenen Grenzen/den eigenen Raum kennen – also quasi verkörpern (embodying). Dieses Verkörpern ist kein einmaliger Vorgang, der dann für die Zukunft als gegeben gilt. Vielmehr ist Embodiment ein dynamischer Vorgang, eine tägliche Praxis, eine Sammlung im Moment, ein wiederholtes Sich-Reflektieren. Dadurch dass die Lehrperson ihre eigenen Räume und Grenzen immer wieder reflektiert und aktuell verkörpert, ist sie fähig, die Räume und Grenzen eines Gegenübers klar wahrzunehmen. Dieses Embodiment stellt die Basis dafür dar, Eigen- und Fremddynamiken voneinander unterscheiden zu können.