In der Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ werden in sechs Bereichen Rahmenkompetenzen für die Sekundarstufe 1 formuliert:

  • Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
  • Kommunizieren und Kooperieren
  • Produzieren und Präsentieren
  • Schützen und sicher Agieren
  • Problemlösen und Handeln
  • Analysieren und Reflektieren.

Für die berufsbildenden Schulen werden diese Kompetenzfelder mit einer stärkeren Gewichtung des praktischen Aspektes als Orientierung für eine nachhaltig wirksame Kompetenzschulung noch ausdrücklich berufsbezogen ergänzt und erweitert (vgl. Kultusministerkonferenz (Hg.) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. 2.1.2 Berufliche Bildung).

Didaktik und Methodik haben sich mit der Stärkung der Digitalkompetenzen veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen zu stellen, die auch religionsunterrichtlich fachdidaktischer Adaption und Integration bedürfen. Neben den Veränderungen, die sie für die Rolle der Lehrenden mit sich bringen, führt dies auch zu einer Wandlung der Fertigkeits- und Fähigkeitsanforderungen der Lernenden.

Dimensionen der Bildung im 21. Jahrhundert

Die Kompetenzen der Bildung in einer digitalen Welt werden häufig in thematische Nähe zu der bildungspolitischen Positionierung „Vier Dimensionen der Bildung im 21. Jahrhundert“ gestellt (vgl. Fadel, Charles; Bialik, Maya; Trilling, Bernie (2017): Die vier Dimensionen der Bildung). Das darin entwickelte Modell beruht auf einer Meta-Analyse internationaler Curricula durch eine der OECD nahestehenden Interessensgemeinschaft. Mit diesem Curricula-Vergleich haben Charles Fadel, Maya Bialik und Bernie Trilling eine essenzielle Reduktion des Bildungsgehalts vorgelegt, das in diesem Text auf religionspädagogische Anschlussfähigkeit hin geprüft werden soll. Was ist dem Modell zufolge wesentlich für eine konsequent auf Zukunft gerichtete Bildung? Vier Dimensionen werden herausgearbeitet. Das Meta-Lernen gilt als kontinuierlich zu reflektierender Hintergrund, in dem sich die drei anderen Dimensionen konkretisierend abzeichnen:

  • Skills – Fähigkeiten (“How we use what we know“) – Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration
  • Character – Charakter (“How we behave and engage in the world“) – Achtsamkeit, Neugier, Mut, Resilienz, Ethik, Führung
  • Knowledge – Wissen – (“What we know and understand“) – Interdisziplinarität, Traditionelles / Modernes / Thematisches Wissen
  • Meta-Learning – Meta-Lernen – (“How we reflect and adapt“) – Meta-Kognition, Wachstumsorientierung

Diese an der Oberfläche reichlich geschmeidig daherkommenden, doch durchaus grundlegend konzipierten Dimensionen fußen auf einem Bildungsverständnis, das ökonomisch und funktional orientiert ist: Wie können junge Menschen lernen, sich in einer globalen Gesellschaft nützlich, gewinnorientiert und verantwortlich zu bewegen (vgl. Fadel, Charles; Bialik, Maya; Trilling, Bernie (2017): Die vier Dimensionen der Bildung)? Der Umgang mit diesem Modell ist keineswegs unumstritten. Anzufragen ist grundsätzlich: Wie stark soll sich allgemeine Bildung an konkreten Erfordernissen der Arbeitswelt ausrichten (zur Kritik vgl. exemplarisch Nina Toller (2019): Unterrichten nach dem 4K-Modell)?

Ein adäquates Bildungsverständnis für den Religionsunterricht?

Diese Kritik stellt sich für den Religionsunterricht noch einmal expliziter. Das von Fadel/Bialik/Trilling vorgelegte Modell versteht Bildung rationalisiert und funktionalisiert – darin streng kompetenzorientiert an der Frage ausgerichtet: ‚Was müssen Schüler*innen können?‘, um in der Gegenwart und Zukunft zu bestehen. Das Modell beschreibt dies als individualisierte Anforderung, fragt jedoch nicht nach dem gesellschaftlichen und strukturellen Kontext, in dem und für den dieses Können ausgebildet werden soll. Die Schüler*innen stehen vor der Herausforderung, Weichenstellungen und Entscheidungen in einer multioptionalen und globalen, ökonomisch und ökologisch konkurrierenden Welt zu treffen und diese ethisch zu begründen. Der Religionsunterricht setzt hier auf kritische Eigenständigkeit und Urteilsbildung, indem er Schüler*innen auch in einem Bildungssystem, das sich an Machbarkeitstheorien orientiert, begleitet. Dafür kann der Religionsunterricht spezifische Horizonte und Rahmenbedingungen anbieten, unter denen Bildung reflektiert, offen und als ein Weg zu mehr Mündigkeit verstanden wird.

Der Religionsunterricht und die 4K

Kaum ein Unterrichtsentwurf, der Digitalität berücksichtigt, kommt ohne die im Modell beschriebenen skills, die Dimension der Fähigkeiten aus: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken. Sie verstehen Didaktik als Entwicklung konkreter Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es im Umgang mit digitalen Technologien zu entwickeln gilt. Die 4K gelten als griffig und adaptierbar, sie können in Checklisten für Unterrichtsanalysen verwandelt werden und lassen sich konkret sowie sehr motivierend trainieren, ebenso wie sie offen stehen für die Erweiterung in die Tiefe konstruktivistischer Lerntheorien hinein. Mit dieser Elastizität haben sie sich nicht ohne Grund als ein wesentliches Modell der Mediendidaktik etabliert (dazu vertiefend: Jöran Muuß-Meerholz (2017), Die 4K-Skills – Was meint Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation?).

Im Konzert mit anderen schulischen Fächern steht auch der Religionsunterricht in Mitverantwortung für die Querschnittsaufgaben Medienkompetenz und digital literacy. Die 4K stellen dafür Leitplanken zur Verfügung. Doch sie schöpfen die Möglichkeiten und Orientierungen des Religionsunterrichts bei weitem nicht aus (kritische Stellung bezieht beispielsweise Horst Heller). Religiöse Bildung setzt subjektorientiert an, indem sie Individuen stärkt, zu Dialog befähigt und zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Für eine zukunftsfähige und dem eigenen fachdidaktischen Anspruch genügende Entwicklung muss religiöse Bildung die Dimension der Skills überschreiten. Die kann gelingen, indem der Religionsunterricht selbstbewusst die Dimension der Charakterbildung fokussiert. Mit dieser Schwerpunktsetzung kann er hinterfragend und subversiv zugleich ein allzu funktionalistisches Bildungsverständnis einrahmen, oder: neu f.r.a.m.e.n.!

Charakterbildung als zentrale Dimension des Religionsunterrichts

Die Dimension der Charakterbildung bietet vielfältige Anschluss-Stellen für eine religionspädagogische Integration, die für die Bildung im 21. Jahrhundert relevant sind. Die Charakterbildung wird im Modell von Fadel/Bialik/Trilling in sechs Aspekte gegliedert: Führung, Resilienz, Achtsamkeit, Mut, Ethik und Neugier. Exemplarisch gewählte Begriffe zu jedem dieser Aspekte: Im Kontext der Achtsamkeit – Fadel/Bialik/Trilling stellen diesen Aspekt, engl. ‚mindfulness‘ als zentral voran – lassen sich Selbstbewusstsein, Dankbarkeit und Reflexion anführen. Unter den Begriff der Neugier fallen beispielsweise Leidenschaft, Forschungsgeist und Aufgeschlossenheit, Mut hingegen zeichnet sich u.a. durch Tapferkeit, Stärke und Robustheit aus. Resilienz wird durch Beharrlichkeit, Engagement und Sorgfalt näher definiert. Bezüglich der Ethik kann auf Teilaspekte wie Ehrlichkeit, Anstand, Wohlwollen und Akzeptanz verwiesen werden. Unter dem Begriff der Führung, der sowohl als Selbstführung als auch als Menschenführung verstanden wird, lassen sich beispielsweise Zuverlässigkeit, Verzicht und Bescheidenheit subsumieren. Die Präsentation umfasst sämtliche im Modell zusammengestellten Aspekte der sich als multi-dimensional erweisenden ‚Charakterbildung‘ (alle Begriffe vgl. Fadel/Bialik/Trilling (2017), S. 150.). Die dort begegnenden 136 Aspekte lesen sich wie ein moderner Tugendenkatalog, in dem sich ein in der Bildungsdiskussion inzwischen ungewohnter Werte-Positivismus sammelt. Viele der Begriffe, die in der Dimension ‚Charakterbildung‘ versammelt sind, liegen durchaus in guter Nachbarschaft zu bestehenden religionspädagogischen Instrumentarien: Die ‚Herzensbildung‘, die ‚Gewissensbildung‘, die ‚Persönlichkeitsbildung‘ (Das Autor*innenteam ist sich dieser Nähe bewusst, kritisiert aber, dass Charakterentwicklung als Bildungsziel häufig mit Religionsunterricht verwechselt würde, eine Beschränkung, von der sie sich ausdrücklich abgrenzen:  Charakterentwicklung müsse wesentlich in das gesamte curriculare Bildungsverständnis implementiert werden. Dennoch bildet die Dimension der Charakterbildung gerade für die Fundierung religiöser Bildung im curricularen Kontext einen entscheidenden Begründungszusammenhang. Vgl. Fadel/Bialik/Trilling (2017), S. 145.).

Die Charakterbildung adressiert auf der Ebene der Persönlichkeitsbildung essenzielle Aspekte, die wesentliche Bestandteile für gegenwärtig und zukünftig zu entwickelnde Kompetenzen integrieren. Mit dieser Fokussierung kann der Religionsunterricht einen maßgeblichen Beitrag für eine zukunftsorientierte schulische Bildung leisten, indem er sich sowohl kritisch zu einem funktionalistischen Bildungsverständnis stellt als auch eine eigenständige Gewichtung der Dimensionen vollzieht. Diese Hinwendung liegt im anthropologischen Begründungsmuster der Freiheit und Fragilität der Person begründet, die immer ins Zentrum gestellt wird.

Religiöse Bildung in der Dimension des Wissens

Natürlich wird religiöse Bildung im 21. Jahrhundert auch in der Dimension des Wissens vertreten sein. Im beschriebenen Modell von Fadel/Bialik/Trilling wird sie nicht von Religionsgemeinschaften oder gar konfessionell verantwortet, sondern durchweg als relevanter Aspekt der Allgemeinbildung verstanden, wobei das Hauptaugenmerk auf ‚religionsvergleichende Studien‘ gelegt wird (vgl. dazu auch das Statement von Gert Pickel, in: Klatt, Thomas (03.08.2020): Die Verzwergung der Großkirchen. Zur Zukunft des Christentums in Deutschland). Das Wissen wird hier nicht mehr in einem traditionellen Verständnis nach disziplinären oder inhaltlichen Kategorien strukturiert, sondern modern – orientiert am praktischen, kognitiven und emotionalen Nutzen und der Anwendbarkeit. Als zukunftsweisende Orientierungen gelten Interdisziplinarität und die Neuordnung der Fachgebiete entlang von Querschnittsthemen. Religiöse Bildung wird im Modell mehreren Querschnittsthemen zugeordnet: Soziale Kompetenzen und emotionale Intelligenz, Empathie und Verantwortung sowie Achtsamkeit und Metakognition (vgl. Fadel/Bialik/Trilling (2017), S. 102-110). Diese ohne weiteren Inhaltsbezug formulierten Querschnittsthemen münden ein in die Dimension der Charakterbildung.

Die Grafik verdeutlicht die neue Zuordnungen in der Dimension des Wissens: Das Modell plädiert für den konsequenten Abschied von traditionellen Zugängen und wendet sich modernen Formen zu, die ihrerseits wesentlich interdisziplinär strukturiert sind und auf die Arbeit an Querschnitthemen setzen. Wissen wird nicht nur erworben, sondern angewendet und integriert. Der Schwerpunkt liegt konsequent auf dem Bildungsgehalt und einem damit verbundenen Kompetenzerwerb. Eine solche Dynamisierung gilt in der Religionspädagogik immer noch als voraussetzungsreich, und die Gefahr einer Unterordnung religionsbezogenen Wissens unter ein pragmatisches Modell wird kritisch wahrgenommen. Wissensgebiete gelten auch aus sich heraus und disziplinär strukturiert als erkundungswürdig, von solchen Erfahrungen her entstehen erst eigenständige Ansprüche, die der Charkaterbildung vorauslaufen und zugleich über sie hinausreichen.

Praktiker*innen religiöser Bildung agieren längst interdisziplinär und haben insbesondere im Umgang mit Pluralität und Heterogenität differenzierte Zugänge und Modelle entwickelt, die einen traditionellen Wissens-Umgang kreativ-adaptiv in die Kontexte einer Bildung im das 21. Jahrhundert integrieren. Die im Modell vorgelegte Differenz zwischen traditionellen und modernen Zuschnitten des Wissens führt jedoch zur Frage: In welchem Ausmaß gründet sich die Religionspädagogik pädagogisch, religionswissenschaftlich, anthropologisch, psychologisch, wenn sie konsequent interdisziplinär von den charakterbildenden Querschnittsperspektiven her gedacht wird? Wie sehr kann sie ihren Bildungsanspruch dann noch theologisch argumentieren und strukturieren?

Fazit

Der Religionsunterricht erfordert sowohl eine breite methodische Aufstellung als auch einen adaptiven, kritisch-konstruktiven Umgang mit digitalen Medien. Religionslehrer*innen können mit intensivem Lebensweltbezug und konsequenter Subjektorientierung auf ein umfangreiches methodisches und mediales Repertoire zurückgreifen, in das sie weitere Medien integrieren und an die durch Digitalität neu zu konturierenden Fragen, bspw. im Raum der digitalen Ethik, anknüpfen können. Hier bestehen didaktisch-konzeptionelle, aber auch kreative inhaltliche Entwicklungsmöglichkeiten. Im oben entworfenen Ansatz des f.r.a.m.e.n. geht es darüber hinaus darum, die Frage nach dem Ziel religiöser Bildung konsequent zu konturieren. Welche Rolle kommt Angeboten religiöser Bildung im formalen Bildungskontext künftig zu? Der Religionsunterricht trägt dazu bei, Schüler*innen zu stärken, individuell zu begleiten und mit ihnen gemeinsam mehr zu entdecken – mehr in sich selbst, mehr in der Welt, mehr in dem ‚dazwischen‘. Die weitgehend inhaltsleer formulierte moderne Dimension des Wissens kann gegenwarts- und zukunftsorientiert ausgestaltet werden, wenn sie sensibel auf die Realitäten und Bedürfnisse von Schüler*innen reagiert und sie in ihrem Wachstum begleitet. Von dort her entscheidet sich die Struktur der Inhalte und des Unterrichts. Hinter einige Grundprinzipien sollte religiöse Bildung auch in digital strukturierten Lernumgebungen im 21. Jahrhundert nicht zurücktreten:

  1. Pluralitätsfähigkeit: Schüler*innen lernen und verstehen Religion in Angesicht der und Toleranz für die Pluralität von Menschen, im Privaten und Persönlichen ebenso wie innerhalb der Gesellschaft, in religiösen und weltanschaulichen Konzeptionen.
  2. Kultursensibilität: Schüler*innen finden im Religionsunterricht eine Umgebung vor, in der sie Sensibilität für individuelle und kulturelle Prägungen erfahren und einüben können. Der Religionsunterricht wird im Rahmen der Möglichkeiten als safe space im schulischen Lernen verstanden.
  3. Diskursivität: Schüler*innen entwickeln kontinuierlich, im Austausch mit religionsbezogenen Wissensbeständen und im Dialog untereinander, ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ihre Argumentationsfähigkeit und das Verständnis für die Dimensionalität von Begründungen, Handlungen und Entscheidungen.
  4. Spiritualität: Schüler*innen erkennen und erfahren eine grundsätzliche Offenheit für eine Kultur des Unverfügbaren.

An solchen Prinzipien orientiert sich auch die berufliche Handlungsfähigkeit der unterrichtenden Lehrkräfte, die als Basis für eine zukunftsfähige religiöse Bildung der Schüler*innen von heute und morgen tragfähig wirken kann.