Informatische Bildung im Lehrplan 21

Der Lehrplan 21 formuliert nicht nur Kompetenzen im Fachbereich Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG), welche die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen zurzeit vielerorts beschäftigen. Er beschreibt auch einen Fachbereich «Informatische Bildung» (IB) und formuliert Kompetenzen in drei Bereichen:

a) Medien verstehen und verantwortungsvoll nutzen:

Schülerinnen und Schüler

  • können sich in der physischen Umwelt sowie in medialen und virtuellen Lebensräumen orientieren und sich darin entsprechend den Gesetzen, Regeln und Wertsystemen verhalten.
  • können Medien und Medienbeiträge entschlüsseln, reflektieren und nutzen.
  • können Gedanken, Meinungen, Erfahrungen und Wissen in Medienbeiträgen umsetzen und unter Einbezug der Gesetze, Regeln und Wertsysteme auch veröffentlichen.
  • können Medien interaktiv nutzen sowie mit anderen kommunizieren und kooperieren.

b) Grundkonzepte der Informatik verstehen und zur Problemlösung einsetzen:

Schülerinnen und Schüler

  • können Daten aus ihrer Umwelt darstellen, strukturieren und auswerten.
  • können einfache Problemstellungen analysieren, mögliche Lösungsverfahren beschreiben und in Programmen umsetzen.

c) Erwerb von Anwendungskompetenzen

Schülerinnen und Schüler

  • verstehen Aufbau und Funktionsweise von informationsverarbeitenden Systemen und können Konzepte der sicheren Datenverarbeitung anwenden.
     

Die Chance der IB für den Religionsunterricht

IB ist als fächerübergreifende Querschnittsaufgabe definiert. In den Stundentafeln der meisten Kantone ist deshalb keine konkrete Lektion für IB vorgesehen. Vielmehr soll IB in die anderen Fächer integriert werden. Es sind Unterrichtsprojekte zu erarbeitet, mit denen sowohl die fachlichen als auch die IB-Kompetenzen aufgebaut werden können. Dies ist eine Chance sowohl für ERG als auch für den kirchlichen Religionsunterricht, denn gerade zum mediengestützten Unterricht gibt es eine reiche Tradition und Erfahrung in der religionsbezogenen und sozialethischen Bildung. Ebenso zeigte die religionspädagogische Tagung 2017 «rel1g10n. Digitale Medien aus religionspädagogischer Perspektive», dass sich bereits zahlreiche Projekte und Modelle im virtuellen und digitalen Kontext bewährt haben. Für den Fachbereich IB zuständige Lehrpersonen insbesondere im Zyklus 3 (Sekundarstufe) sind oft für Kooperationen offen und haben auch entsprechende Budgets zur Verfügung.

Schlüsselbegriff Leitmedienwechsel

In der IB-Diskussion steht heute ein Begriff im Zentrum: Leitmedienwechsel (Döbeli 2016). Fachleute verstehen unter dem heutigen Leitmedienwechsel den epochalen Wandel von der Buchdruck- zur Informatikgesellschaft.

Der Buchdruck ermöglichte zu Beginn der Neuzeit immer grösseren Bevölkerungskreisen Zugang zu Informationen sowie Bildung und beförderte dadurch einen nachhaltigen Umbruch. Die gedruckten Flugblätter, Bücher und Zeitschriften wurden zum Leitmedium. Die Reformation vor 500 Jahren kann nicht unabhängig von diesem damaligen Leitmedienwechsel betrachtet werden.

Heute findet ein ebenso grundlegender Leitmedienwechsel statt. Für die meisten Menschen sind multimediale Computer, Smartphons oder Tablets die erste Adresse, um sich zu informieren, zu unterhalten oder um zu kommunizieren. Dadurch verändert sich die Lebenswelt, verändern sich Vorgehensweisen, Denken und Handeln, verändern sich Formen der Kommunikation und Autoritäts- und Referenzgrössen. Nebst vielen Vorteilen werden auch Gefahren deutlich, und die Folgen sind – ähnlich wie vor 500 Jahren – für uns Zeitgenossen kaum absehbar.

Was bedeutet ein solcher Leitmedienwechsel für das Christentum, das als sogenannte Buchreligion gilt? Verschwindet mit der Buchdruckgesellschaft auch der christliche Glaube? Für Christinnen und Christen steht hinter Texten, Büchern oder medialen Präsentationen das eigentliche «Leitmedium», Jesus Christus, als das menschgewordene Wort Gottes. Religiöse Bücher, Blogs oder Tweets sind Medien, welche dieses personale Wort Gottes wahrnehmbar und zugänglich machen (Nord 2017). Sie bedienen sich der Sprache und der Mittel der jeweiligen Zeit. Genauso wie vor 500 Jahren der Wechsel zum gedruckten Leitmedium für das Christentum zur Chance wurde, soll auch der gegenwärtige Leitmedienwechsel ernst genommen werden. Doch die Lehrpersonen reagieren unterschiedlich auf die neue Herausforderung. Die einen ignorieren die Entwicklung nach dem Motto: Das Christentum hat schon viele Moden überlebt; das Buch, das Erzählen und die Erschliessung der symbolisch-religiösen Sprachen bleiben sowieso zentral im Religionsunterricht. Andere wollen bewusst Gegensteuer geben. Religionsunterricht soll eine computer- und handyfreie Zone bleiben: jetzt braucht es Primärerfahrungen, und die traditionellen Methoden mit Legematerial, Rollenspiel und Zeichnungen werden zu exotischen Attraktionen. Nur wenige wagen sich bisher auf das digitale Feld, um neue Unterrichtsformen auszuprobieren und zu integrieren. Dabei könnte gerade hier an die Pionierleistungen der Religionspädagogik im Bereich der AV-Medien angeknüpft werden. In der IB-Fachwelt werden noch weitergehende Möglichkeiten diskutiert: braucht es noch herkömmlichen Fachunterricht, oder müssen die Schülerinnen und Schüler nur lernen, wie man sich Bildung und Informationen im Netz beschafft?

Erste Konsequenzen aus religionspädagogischer Sicht

  • Für eine an der Korrelation orientierte religionspädagogische Praxis gilt es beide Dimensionen ernst zu nehmen: die Botschaft des Glaubens und die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen. Es ist nun aber unverkennbar, dass die Lebenswelt der Jugendlichen und auch diejenige der Kinder zunehmend von digitalen Medien geprägt werden. Wer die Lebenswelt und die Kinder- und Jugendkultur ernst nimmt, kommt nicht darum herum, auch digitale Mittel und Methoden einzusetzen. Nur so kann eine Mehrzahl der Heranwachsenden angesprochen werden. Das Ineinander von realer und virtueller Welt bietet ganz neue Chancen für die Welt- und Glaubensaneignung. Ein Religionsunterricht, der diese Möglichkeiten ignoriert, erhält das Image eines Faches von gestern.
  • Ein Jugendlicher sagte: Paulus würde heute bloggen, posten oder Twitter nutzen. Für die religionspädagogische Reflexion muss der Lernort Netz noch stärker in den Fokus genommen werden. Neben Familie, Schule und Kirche ist er bereits heute ein dominierender Lernort des Glaubens. Er bietet auch didaktisch neue religiöse Ausdrucks- und Kommunikationsformen, die bisher nur in den Peergroups genutzt werden.
  • Nicht als Gegenreaktion zur Informatikgesellschaft, sondern im Hinblick auf einen mündigen Umgang mit Informatik, erhält das Nichtautomatisierbare eine neue Bedeutung. Kinder und Jugendliche müssen lernen, die Glaubwürdigkeit und Relevanz von Informationen, Techniken und Angeboten zu beurteilen. Sie brauchen eine Art Filterkompetenz, um sich in der Vielfalt von Bildern und Texten orientieren zu können, gerade auch im Bereich von Religion und Religionen. Das Orientierungswissen wird wichtiger als das Faktenwissen. Es braucht eine kritische Haltung gegenüber dem drohenden Kontrollverlust über die eigenen Daten, sowie gegenüber neuen Macht- und Herrschaftsstrukturen. Systemisches und vernetztes Denken, Kreativität und Sozialkompetenz werden in einer vernetzten Welt zu noch wichtigeren Fähigkeiten. Religion als Sinndeutungssystem erhält in der unübersichtlichen Welt des Digitalen eine neue Bedeutung.
  • Dazu müssen die neuen interaktive Lern- und Arbeitsmöglichkeiten auch im Religionsunterricht genutzt werden. Das Motto «brings mit» (gemeint ist das eigene Smartphon, Tablet oder Notebook) zeigt, dass es dazu keine Computerräume und Infrastrukturen braucht. Die Kommunikations-, Kollaborations- und Präsentationsmethoden sollen jedoch nicht als Gags eingesetzt werden, sondern zur Unterstützung des religionspädagogischen Kompetenzaufbaus dienen. Es geht nicht um Methoden- oder Medienorientierung, sondern um Subjektorientierung. Insbesondere für heterogene Klassen bieten diese Methoden interessante neue Möglichkeiten.