Vom Grund des eigenen Tuns

In diesen Zeiten, in denen sich vieles um neue Lehrpläne und die Anzahl Lektionen im Stundenplan dreht, tut es gut, sich ab und zu wieder einmal nach dem Grund des eigenen Tuns zu fragen. Warum erzählen wir den Kindern im Religionsunterricht von Gott? Und – als ob das nicht reichen würde – weshalb denn auch noch von Jesus Christus?

Unsere gängige Antwort lautet: „Weil sich Kinder aufgrund der Begegnung mit Gott und Jesus Christus freud- und kraftvoller entwickeln können als ohne diese.“

Wir können festhalten: Ohne die Figur Jesu Christi gäbe es unsere christlichen Kirchen, und damit unsere heutige katechetische Praxis nicht. Was haben sich also die Menschen damals im ersten Jahrhundert von diesem Mann, Jesus von Nazareth, erhofft? Warum konnten sie sich in ihrer Lebenswelt offenbar freud- und kraftvoller entwickeln dank ihm? Reichten ihnen ihre bisherigen kraftspendenden Erzählungen von Gott nicht aus, um genügend Frieden zu finden im Alltag?

Vom Geist des ersten Jahrhunderts

Gerne stütze ich mich für solche Fragen auf die Literatur und auf persönlich gehörte Worte der bekannten Religionspädagogin aus Rostock, Prof. Dr. Anna-Katharina Szagun. Sie betont verschiedentlich, wie wichtig es ist, sich den Geist des ersten Jahrhunderts vor Augen zu führen: Wie haben die Menschen in Palästina damals gelebt? Was beschäftigte sie? Welche Vorstellungen von der Welt, vom Zusammenleben, von Himmel und Erde hatten sie? Welche Nöte und Ängste plagten sie? Für einen Weiterbildungskurs habe ich diesen Geist unlängst versucht, in eine gewisse Ordnung zu bringen, indem ich die vielen religiösen Einflüsse auf die Menschen von damals in sechs verschiedene Bereiche eingeordnet habe: Einflüsse der jüdischen Tradition, der jüdischen Reformbewegungen, gängiger Endzeiterwartungen, Auferweckungsvorstellungen, römischer und hellenistischer Philosophien, und Einflüsse, die der einhergehenden Entwicklung von kirchlichen Dogmen zuzuordnen sind. Dabei ist mir –übrigens parallel zur Auseinandersetzung mit der Reformationszeit – bewusst geworden, wie überwältigend die allgemeine Erwartung eines Endgerichts die Menschen damals geprägt haben muss. Damit verbunden waren entsprechende Gottesbilder, die stark mit Richten, Vergeben, Strafen und Sühnen zu tun hatten.

Jesuskonzepte entwickeln sich

Nicht vergessen dürfen wir, dass auch Jesus von Nazareth selbst unter diesen Einflüssen in diesem Geist des ersten Jahrhunderts gelebt hat. Und dass er wohl in diesem Geist in einer für das damalige traditionelle Judentum neuen Art und Weise von Gott erzählt haben muss. Was er erzählt hat, wo er genau zuzuordnen ist, wissen wir lediglich gespiegelt durch die neutestamentlichen Autoren. Die Zuordnung des Menschen Jesus von Nazareth zu einem oder mehreren der Einflussbereiche des ersten Jahrhunderts geschah nach seinem Tod durch die Abfassung der neutestamentlichen Schriften. So erkennen wir heute als Lesende in diesen Texten viele verschiedene Jesusfacetten, je nachdem, welche Autorenschaft die jeweiligen Texte verfasst, angepasst und in ein grösseres Gesamtkonzept eingeordnet hatte. Im erwähnten Weiterbildungskurs haben wir anhand ausgewählter Fragen die Texte auf ihr jeweiliges christologisches Konzept hin überprüft. In einer Zusammenstellung visualisierten wir unsere Erkenntnisse zur Vielfalt an Jesuskonzepten und den dazugehörigen Texten auf einer Stellwand:

Der historische Mensch, Jesus von Nazareth, wurde –nach seinem Tod – zum Christus, zum Messias, zum Besieger des Todes und sogar zu Gottes Sohn. So oder so: zu einer Figur, die die bedrückende Angst vor dem Endgericht lindern und damit ein Stück Heil auf Erden ermöglichen konnte.

Jesus als Modell des Heils

Die Menschen in Palästina damals waren mit wenigen Ausnahmen allesamt politisch unterdrückt, von Armut gegeisselt, durch gesellschaftliche Normen entwertet und lebten in dieser angstvollen Erwartung des Endgerichts. Die Botschaft von einem bedingungslos liebenden Gott, das Erkennen Jesu als eines Retters, der noch vor dem Endgericht aufgrund der göttlichen Liebe und Vollmacht die Sünden vergeben konnte, ermöglichte Heilserfahrungen aktuell im irdischen Hier und Jetzt. Der auferstandene Jesus wurde zu einem Modell, das sich jeder und jede selbst „überstülpen“ konnte, um zu lernen, wie der Weg zum persönlichen Heil zu gehen sei; wie Heilserfahrungen Aktualität gewinnen konnten.

Das erste und das einundzwanzigste Jahrhundert treffen sich

Dieser Modellcharakter Jesu ist es, der die Menschen Palästinas im ersten Jahrhundert mit uns und unseren Kindern heute verbindet. Die religiösen Einflussbereiche unserer Zeit und die entsprechenden Welt- und Gottesbilder haben sich stark verändert. Auf der Suche nach unserem persönlichen Heil sind wir aber nach wie vor. Unsere Kinder in ganz besonderer Weise, da ihre natürliche religiöse Entwicklung intensiver und mit grösserer Geschwindigkeit vor sich geht als unsere im Erwachsenenalter. Es steht auf meiner Pendenzenliste, die Einflussbereiche unserer Kinder heute genauso detailliert aufzufächern und zu visualisieren wie jene aus dem ersten Jahrhundert. Wie würden die Konzepte von Jesus dann wohl aussehen und heissen? Wie „stülpen“ sich Kinder von heute dieses Heilsmodell Jesus über ihr Leben? Wie verbinden sie diesen historisch unbekannt gebliebenen Mann Jesus von Nazareth mit ihrem Zeitgeist?

Vermittlung Jesu Christi als einer „existentiell bedeutsamen Orientierungsgrösse“ (Grom)

Weil auch ich diese Verbindung von Jesus – vielleicht eben nicht Christus, sondern ein anderer Titel aus unserer Zeit – mit dem Lebensweg unserer Kinder als eine freud- und kraftspendende Verbindung erkenne, deshalb erzähle ich ihnen von Jesus. Und zwar in all seinen möglichen Konzepten, so dass die Kinder aus dem vielen Erzählstoff ihr eigenes Konzept entwickeln können. Ich erzähle also von Christus, vom jüdischen Sozialrevoluzzer, vom Wunderheiler und von Gottes Sohn. Alles zu seiner Zeit, in der passenden Altersstufe und klar voneinander trennbar.

Im Vorschulalter passt alles Mögliche in die magische Denkweise der Kinder.

In der Primarschule ist Ordnen angesagt: ordnen zwischen dem göttlichen Gott und dem menschlichen Jesus.

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Die Oberstufe lädt zur Konzeptentwicklung eines zugleich göttlichen wie auch menschlichen Jesus ein.

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Der Modellcharakter Jesu bekommt allmählich seine persönliche Form.

Ein paar Leitsätze zum konkreten Umgang mit neutestamentlichen Textenhabe ich für den Weiterbildungskurs und zum allgemeinen Gebrauch erarbeitet.