Von der Trauer

Die Kraft der Trauer ist die Liebe. Sie kann sich entfalten, wenn Trauer gelebt & gefühlt wird.

Traurigsein ist eines unserer Grundgefühle, die wir Menschen in uns haben neben der Freude, Wut, Angst und Scham. Diese Grundgefühle sind überlebenswichtig und haben eine Botschaft für uns. Das Gefühl der Trauer fragt: «Was finde ich schade? Was läuft nicht so, wie ich mir das vorstelle?»

Die Trauer hilft uns das anzunehmen, was wir nicht verändern können. Wenn Trauer gelebt wird, kann sie unser Herz öffnen, für die Kraft der Liebe.

Unangenehme Gefühle werden oft nicht gerne gesehen und gefühlt. Viele haben gelernt, sie zu deckeln. Um gesund zu bleiben, ist es wichtig, wieder zu diesen Grundgefühlen Zugang zu bekommen, sie zu spüren, wahrzunehmen und benennen zu können. So entfalten sie ihre Kraft und teilen uns ihre Botschaft mit.

Wenn das Haustier stirbt, eine Freundin wegzieht, das geliebte Stofftier verloren geht oder ein naher Mensch stirbt, dann macht das traurig. Das Gefühl der Trauer zeigt: «Ich finde das schade, es läuft nicht so, wie ich mir das wünsche.» Gibt man sich der Trauer hin, lässt man sie zu, dann hilft das, die Situation anzunehmen, irgendwann – und das Herz öffnet sich für die Kraft der Liebe.

Im Bilderbuch Waldtraum gibt das Waldwesen Ürzel dem trauernden Jungen Jens verschiedene Hilfestellungen, um zu lernen, die Trauer und die Situation anzunehmen. Symbolisiert werden diese durch Ürzels Familie:  Schwester Wasser führt Jens behutsam in die Gefühlswelt, Mutter Erde lässt ihn seinen Körper spüren, Bruder Wind fliegt in die Gedankenwelt und Grossväterchen Feuer verbindet ihn mit seinem Herzen.

Jedes dieser Familienmitglieder hilft Jens dabei, den Zugang zu seiner inneren Welt bewusst wahrzunehmen. Dieser Zugang ist nicht nur für trauernde Menschen zentral. Die Hilfestellungen, die im Buch über die Figuren eingeführt werden, helfen immer dann, wenn man traurig ist.

Die Familienmitglieder und unsere inneren Welten

In der Geschichte sagt Schwester Wasser zu Jens: «Ich helfe dir mit meiner Wasserkraft, dass du alle deine Gefühle fühlen kannst, das hilft beim Traurigsein.» Sie zeigt also einen Zugang zur Gefühlswelt und ermöglicht Bilder, die dabei helfen, die eigenen Gefühle zu beschreiben: fröhlich sprudelnd, tosend wie ein Wasserfall, gefroren wie Eis, still wie ein Bergsee.

In der Arbeit mit dem Bilderbuch können die Kinder dazu angeregt werden, diese Gefühlsbilder nachzuspielen oder zu zeichnen. 

Das Traurigsein ist oft begleitet vom Gefühl des Alleinseins. Mutter Erde gibt diesem einen Boden. Denn egal wo man ist und wie alleine man sich fühlt: Sie ist immer da. In der Geschichte legt sich Jens auf den Waldboden und spürt, wie er getragen wird. Er fühlt sich geborgen. Die warme Kraft von Mutter Erde entspannt ihn und seinen Körper und er wird ruhiger.

Eine kurze Meditation zur Mutter Erde ermöglicht Kindern, diese Erdkraft zu spüren, sich zu entspannen und innere Ruhe zu erleben.

Bruder Wind führt die Kinder in ihre Gedankenwelt: «Meine Windkraft hilft den Menschen, den Kopf zu lüften, die Gedanken zu klären und ich kann beim Wünschen helfen.» Die Kraft der Gedanken ist immens. Was ich denke führt zu einem Gedanken und dieser löst ein Gefühl aus. Etwas Schönes Denken hilft, die Gedanken bewusst zu steuern. Ein einfacher Zugang in die Gedankenwelt und wie wir sie beeinflussen können, ermöglicht das Thema «Wünschen».

In der Welt von Bruder Wind kann man mit den Kindern zum Beispiel ein «Wunschkonzert» für sich selber oder für sein Gegenüber veranstalten oder mit ihnen Pusteblumen sammeln und dann gemeinsam die Wünsche in den Wind blasen.

Zum Schluss treffen Ürzel und Jens auf Grossväterchen Feuer und seine Feuerkraft. Er hilft Jens, sich zu erinnern, denn die Erinnerungen aus den Herzen tanzen wie Funken und lassen die Liebe wach werden.

An dieser Stelle der Geschichte können Kinder dazu angeleitet werden, ihre Erinnerungen zu einem bestimmten Thema zu malen, zu erzählen oder vorzusingen – begleitet durch eine brennende Kerze.

 

„Die Essenz vom Feuer ist Transformation.
Umwandlung vom Holz in Energie.
Energie von Wärme & Licht.
Die Kraft der Trauer ist die Liebe,
wenn Trauer gelebt wird.
Das Feuer hilft mit seiner Kraft
die Kraft der Liebe in den Erinnerungen zu wecken.
Gefühle dürfen fliessen.
Mama Erde hält dich.
Bruder Wind nährt das Feuer.

Und so sind
alle Familienmitglieder wieder beisammen.

Helfen uns Menschen,
wenn wir‘s zulassen,
bewusste Wege gehen.“
Chantal Gygax

Von der Verbundenheit

Die im vorhergehenden Abschnitt angedachten Übungen stärken die Kräfte, die in den eigenen Gefühlen, Gedanken, dem Körper und der Seele zu finden sind. Sie helfen dabei, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse besser wahrzunehmen und die Verbundenheit mit sich selber und der Umwelt zu spüren. Da Kinder in der Regel von sich aus, diese Verbundenheit spüren, geht es in der Arbeit im Zyklus 1 vor allem darum, diese Verbundenheit sichtbar zu machen und die Kinder darin zu bestärken.

Im Bilderbuch wird dies durch den kleinen Engel symbolisiert, welcher neben Jens mit jeder Begegnung mit einem der Familienmitglieder von Ürzel wächst. Dieser wird in der Geschichte bewusst nicht benannt, sondern nur über die Bilder dargestellt. So entsteht Raum, mit den Kindern einzutauchen in ihre eigenen Bilder, Geschichten und Vorstellungen, welche das Beobachten dieses Prozesses bei ihnen auslöst.

Denn der Wald träumt für die Hinterbliebenen den Waldtraum. Er flüstert: «Du darfst traurig sein. Ich zeige dir Kräfte auf, die du in dir trägst und die dich stärken können auf deinem Weg der Trauer. Du bist nie alleine. Ich sehe dich

Weiterführende Literatur zum Thema Trauer

Mehr zum Bilderbuch und den Angeboten dazu gibt es auf www.waldtraum.ch

  • Bobillier, Franziska (hogrefe), Trauernde Kinder und Jugendliche psychologisch begleiten. Ein Handbuch für die Praxis, Bern 2022
  • Canacakis, Jorgos (Kreuz), Ich sehe deine Tränen. Lebendigkeit in der Trauer. Das Lebens- und Trauerumwandlungsmodell. (LTUM), Freiburg im Breisgau 2011
  • Dittmar, Vivian (edition est), Kleine Gefühlskunde für Eltern. Wie Kinder emotionale und soziale Kompetenzen entwickeln, München 2018
  • Kast, Verena (Kreuz), Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Freiburg im Breisgau 2010
  • Schärer, Kathrin (Atlantis Kinderbuch), Der Tod auf dem Apfelbaum, Zürich 2015

Veröffentlicht auf reli.ch am 20. März 2024