Kirchliche Bildung mit Kindern und Jugendlichen
Welche religionspädagogischen Angebote gibt es im reformierten Kontext der Schweiz? Was sind die Erwartungen von Kindern, Jugendlichen, Mitarbeitenden sowie Eltern? Was die Erfahrungen? Die Studie "Kirchliche Bildung mit Kindern und Jugendlichen weiterentwickeln" untersuchte diese und weitere Fragen und berücksichtigte dabei sowohl die religionspädagogischen Angebote auf Primarstufe als auch die Konfirmationsarbeit.
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Die breit angelegte Studie wurde vom Team rund um Prof. Dr. Thomas Schlag von der Theologische Fakultät der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem "European Network for Confirmation Work" in den Jahren 2021 bis 2023 im reformierten Kontext der Schweiz durchgeführt, um bisher bestehende blinde Flecken hinsichtlich Erfahrungen und Wirkungen kirchlicher Bildungsangebote zu beleuchten.
Die Studienergebnisse zeigen, dass eine frühzeitige religiöse Bildungsarbeit essenziell ist, um langfristig positive Bindungen an Kirche und Glaube zu fördern. Durch die Einbeziehung mehrerer Perspektiven, namentlich der von Kindern, Jugendlichen, Eltern und Mitarbeitenden, bietet die Studie umfassende Einblicke in die Herausforderungen und Potenziale der kirchlichen Bildungsarbeit. Die Publikation liefert praxisnahe Empfehlungen, um innovative und nachhaltige Bildungsangebote zu entwickeln.
Religiöse Heterogenität als Chance in der kirchlichen Bildungsarbeit
Herausgepickt aus der umfassenden Publikation "Kirchliche Bildung mit Kindern und Jugendlichen", geben die Studien „RAPS“ (Religionspädagogische Angebote auf Primarstufe) und „KACH“ (Konfirmationsarbeit in der Schweiz) detaillierte Einblicke in die Herausforderungen und Chancen religiöser Heterogenität in der kirchlichen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie verdeutlichen, dass Heterogenität nicht nur eine zentrale Bedingung, sondern auch eine wertvolle Ressource für die Gestaltung von Bildungsangeboten darstellt.
Religiöse Sozialisierung und Erfahrungen
Die Befragungen zeigen, dass viele Kinder und Jugendliche kaum religiöse Vorerfahrungen aufweisen. Ein Großteil stammt aus wenig religiösen oder nicht-religiösen Haushalten, was sich in ihrer oft wenig oder gar nicht vorhandenen Vertrautheit mit Glaubensinhalten, Ritualen oder kirchlichen Räumen widerspiegelt. Gleichzeitig wachsen viele in multireligiösen oder säkular geprägten Kontexten auf, in denen der Glaube an Gott im sozialen Umfeld immer weniger als „normal“ wahrgenommen wird. Dennoch zeigen die Ergebnisse eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Glaubensfragen: Mehr als die Hälfte der Konfirmand:innen gibt an, an Gott zu glauben, und dieser Glaube gewinnt während der Konfirmationszeit an Bedeutung.
Ganz generell zeigt sich in den Ergebnissen, dass die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern und Erziehungsberechtigten ein positives Bild von Kirche haben, wobei die Kinder und Jugendlichen die Kirche vor allem auch als sozial handelnde Instanz wahrnehmen. Hier zeigt sich ein Unterschied in der Wahrnehmung der «Kirche für Andere» und einer «Kirche, die einem selbst etwas angeht und bedeutet».
Die Rolle der Eltern und Mitarbeitenden
Die Elternbefragung ergab, dass die Mehrheit der Eltern und Erziehungsberechtigten zwar an Gott oder etwas Göttliches glaubt, in den Familien jedoch eine eigene religiöse Praxis weniger gepflegt wird. Die Eltern und Erziehungsberechtigten wünschen sich, dass ihre Kinder mit Religion in Kontakt kommen, sehen dies aber nicht als primäre Aufgabe der Familie. Für die Weitergabe religiöser Inhalte ist die Rolle der Kirche somit zentral. Diese Ergebnisse sprechen dafür, gerade auch die rituelle Dimension der Angebote zu stärken, so dass Kinder eigene religiöse Erfahrungen sammeln können. Die Angebote bieten weiter wertvolle Kontaktflächen zu Eltern und Erziehungsberechtigten, die wahrgenommen und gepflegt werden können, um eine aktive Familienarbeit zu fördern. Den Mitarbeitenden kommt insofern eine wichtige Rolle zu, vor allem da sich in den Ergebnissen gezeigt hat, dass gerade gute Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen ein wichtiger Faktor für die Wahrnehmung der Angebote darstellen.
Strategische Brückenbildung
Eine frühzeitige Kontaktaufnahme und Beziehungspflege sind entscheidend, um eine nachhaltige Bindung an die Kirche zu fördern. Religiöse Bildungsangebote sollten als Teil der Familienarbeit wahrgenommen werden, um auch Eltern und Erziehungsberechtigte anzusprechen und den Kindern ein durchgängiges Erleben religiöser Themen zu ermöglichen. Die Ergebnisse betonen auch, dass kirchliche Bildungsangebote von einer klaren strategischen Brückenbildung zwischen Primarstufe und Konfirmationsarbeit profitieren können.
Didaktische Herausforderungen und Impulse
Die Ergebnisse betonen die Bedeutung didaktischer Ansätze, die Heterogenität als Chance begreifen. Kinder mit wenig religiösen Vorerfahrungen profitieren von der erstmaligen Begegnung mit biblischen Geschichten und Ritualen, während religiös geprägte Kinder ihre Glaubensvorstellungen hinterfragen und vertiefen können. Die Verbindung von Wissensvermittlung und dialogischen Methoden wie Kinder- und Jugendtheologie eröffnet neue Möglichkeiten für partizipatives Lernen. Dabei wird deutlich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Glauben und Kirche nicht als Bedrohung, sondern als Chance für eigenständige Reflexion verstanden werden sollte.
Zivilgesellschaftliche Relevanz der Bildungsangebote
Die Studienergebnisse zeigen, dass die kirchlichen Bildungsangebote auch eine zivilgesellschaftliche Relevanz haben. Indem Kinder und Jugendliche religiöse Inhalte erlernen und somit ein besseres Verständnis für ihre Kultur entwickeln, kann das Kennenlernen anderer Religionen den Dialog und Toleranz fördern. Weiter konnte anhand der Studienergebnisse gezeigt werden, dass eine aktive Partizipation an kirchlichen Angeboten dazu führen kann, dass Kinder und Jugendliche sich auch über die Angebote hinaus vermehrt kirchlich und so auch gesellschaftlich engagieren möchten.
Perspektiven für die Praxis
Die Vielfalt der Teilnehmenden erfordert von den Mitarbeitenden eine reflektierte Haltung und professionelle Offenheit. Multiprofessionelle Teams, die junges und älteres Personal sowie Freiwillige einbinden, können helfen, ein breites Spektrum an Erfahrungen und Perspektiven abzudecken. Diese Durchmischung ermöglicht eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse heterogener Lerngruppen und schafft Raum für innovative Bildungsansätze.
Digitale Tools und ihr theologisches Potenzial
Die Studienergebnisse haben gezeigt, dass digitale Tools bislang vor allem zu Kommunikationszwecken eingesetzt werden. Dabei wird das theologische und produktive Potenzial der digitalen Medien noch wenig wahrgenommen. Zukünftige kirchliche Bildungsarbeit könnte digitale Tools vermehrt einsetzen, wobei neben dem Einsatz digitaler Medien gerade auch die Digitalisierung selbst zum Thema werden und eine kritische Medienreflexion der Kinder und Jugendlichen gefördert werden kann.
Fazit
Die Studienergebnisse zeigen, dass die kirchlichen Bildungsangebote von einer grossen Mehrheit der Befragten als attraktiv wahrgenommen werden und daher keinesfalls von einem «Auslaufmodell» kirchlicher Bildung gesprochen werden kann. Dabei ist es zentral, dass die abnehmende religiöse Sozialisierung und die zunehmende Heterogenität nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance wahrgenommen werden sollen. Die kirchlichen Bildungsangebote bieten für Kinder und Jugendliche Erlebnisräume, in welchen sie sich mit religiösen Inhalten auseinandersetzen und religiöse Erfahrungen sammeln können. Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse und Fragen der Kinder und Jugendlichen wahr- und ernst zu nehmen, so dass die Teilnehmenden die kirchlichen Angebote als relevant und lebensdienlich wahrnehmen – das bedeutet, dass die Angebote nicht nur für, sondern auch mit Kindern und Jugendlichen gestaltet und eine aktive Partizipation gefördert werden soll.
Die Publikation kann beim TVZ in gedruckter Version bestellt oder Open Access frei zugänglich als PDF herunterlangenden werden.
Neben der Darstellung der Ergebnisse werden auch mögliche Entwicklungen und Tendenzen für die kirchliche Bildungsarbeit der Zukunft geschildert. Wie können die Angebote etwa gestaltet werden, dass sie von Kindern und Jugendlichen als relevant und lebensdienlich wahrgenommen werden? Und wie können Partizipation und die Verknüpfung der Angebote mit der Kirchgemeinde gefördert werden?
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Kompetenzbereiche Religionsunterricht. Weitere Teile:
Kirchliche Bildung mit Kindern und Jugendlichen Schiffbruch?