Kinderwagen in der Kirche als Initialzündung

In der Kathedrale in St. Gallen finden regelmässig Kindersegnungsfeiern statt. Viele Familien kommen mit dem Kinderwagen. Das bringt die Seelsorgerin Hildegard Aepli im Jahr 2015 auf eine Idee: Einmal jährlich soll es eine Kinderwagenwallfahrt geben. Da sind Kinderwagen, Velos und Leiterwagen herzlich willkommen. Das freut Kinder und Eltern und sorgt für jede Menge Bewegung und frische Luft. Seither ist dieses Angebot in St. Gallen fest verankert.

Nach langem Abwägen wird nach ein paar Jahren aus der «Kinderwagenwallfahrt» das «Familienpilgern». Frau Ruedin führt aus: «Familienpilgern spricht Familien mit Kindern von null bis zehn Jahren an. Zudem ist der Begriff Pilgern gängiger als Wallfahrt. Jeder weiss, dass Pilgern etwas Anderes ist als spazieren.»  

September als Pilgermonat

Von Anfang an findet die Familienwallfahrt im Monat September statt. «Dann ist es meist noch schön und doch nicht so heiss. Mit Herbstbeginn gibt es in der Natur viel zu entdecken» erklärt Frau Ruedin. Aktuell findet das Pilgern samstags von 13.30 bis 17 Uhr statt. Das bewährt sich.

Starkes Team

Das Pilger-Team setzt sich aus freiwillig Engagierten und bei der Kirche Angestellten zusammen. Frau Ruedin ist von Anfang an mit dabei. Sie erläutert: «Inzwischen sind wir gut eingespielt. Vor jedem Pilgern gibt es zwei Sitzungen. Beim ersten Treffen legen wir das Thema fest und teilen die Arbeit auf. Beim zweiten Mal laufen wir den Weg ab. Was gibt es alles zu entdecken? Wir klären die Details.»  

Bekannten Weg achtsam gehen

Frau Ruedin erzählt: «Wir suchen bewusst einen Weg aus, welchen die Familien aus ihrem Alltag kennen. Beim Pilgern gehen wir diese Strecke achtsam und mit neuen Augen. Die Route variiert. Es ist immer ein Weg, den man gemütlich gehen kann. Das Gehtempo wird an die kleinen Kinder angepasst. Wenn es Stellen gibt, die mit dem Kinderwagen schwierig zu bewältigen sind, helfen alle mit.»

Das Programm spricht auch Erwachsene an

Im ersten Jahr dreht sich beim Familienpilgern alles um Bäume und Wasser. Ein anderes Jahr rückt Erntedank in den Mittelpunkt. Dazu heisst es auf der Einladung: «Wir halten unterwegs an. Wir danken für die Ernte. Wir danken für Schönes im Leben. Wir sind gemeinsam unterwegs.»

Beim letzten Durchlauf macht die Gruppe einen Zwischenstopp im Naturmuseum. Die kurze und kindgerechte Führung kommt gut an. Frau Ruedin betont: «Das Programm ist so gestaltet, dass auch die Erwachsenen inspiriert werden. Wir haben auch schon Impulskärtchen für die Erwachsenen vorbereitet, die sie mit nach Hause nehmen konnten.»

Mit Pilgersegen und Jakobsmuschel starten

Der Einstieg stimmt auf das Pilgern ein und stiftet Gemeinschaft. 2019 startet die Familienwallfahrt auf einem Bauernhof. Die Bauersfamilie serviert ein feines Bauernhof-Zvieri mit Äpfeln und Zwetschgen. Die Tafel ist mit Herbstblumen liebevoll dekoriert.

Über den Einstieg im Jahr 2020 berichtet Frau Ruedin: «Wir erklären in einfachen Worten was Pilgern ist und was Menschen dazu motiviert. Dazu zeigen wir den Kindern Fotos. Es gibt einen Pilgersegen. Die Kinder erhalten eine Pilgermuschel, die sie auf der Pilgerreise begleitet. Dieses sichtbare Pilgerzeichen ist etwas Besonderes für die Kinder. Sie dürfen die Muschel als Bhaltis mitnehmen.» Ein anderes Mal bereitet das Team bemalte Steine vor. Diese können die Kinder auf dem Weg auslegen oder mit nach Hause nehmen. «Das sind dann kleine Erinnerungen an die gemeinsame Zeit.»

Spirituelle Wanderung mit Einfachheit und Entschleunigung

Pilgern heisst, mit den Füssen zu beten und die stärkende Kraft der Gemeinschaft zu erleben. Gott geht alle Wege mit. Mit diesem mystagogischen Verständnis ist die Gruppe Schritt für Schritt unterwegs.

Familienpilgern in St. Gallen ist immer sinnenhaft und sensibilisiert für Gottes schöne Schöpfung. Frau Ruedin beschreibt: «Die Kinder sind aktiv. Sie suchen, beobachten, sehen, tasten, hören, riechen. Der Nachmittag ist kurzweilig und konzentriert.»

Unterwegs gibt es verschiedene Stationen mit einfachen und gehaltvollen Impulsen und kleinen Aufgaben. Dabei wechselt sich das Team ab, was es für die Familien abwechslungsreich macht. Frau Ruedin nennt ein Beispiel aus vergangen Jahren: «Wir haben ein grosses Tuch dabei, wo alle ihren Namen draufschreiben und kleine Kinder etwas aufmalen. Dieses Tuch wird dann bei allen Stationen ausgebreitet.»

Dabei profitieren gerade die jüngeren Kinder davon, dass der Pilgerweg in kleine Abschnitte aufgeteilt wirdDenn «jetzt laufen wir bis zum nächsten Baum» ist für Kinder motivierender als «wir sind jetzt noch zwei Stunden unterwegs, bis wir das Ziel erreichen.»

Kinder sind Jäger und Sammler

Kinder entdecken ständig etwas Neues. Sie begeistern sich für Details und erleben ihre Umwelt unmittelbar. Mit dieser Gabe laden sie uns Erwachsene zum Staunen und Innehalten ein. Draussen in der Natur finden Kinder für sie wertvolle Schätze wie Tannenzapfen und Schneckenhäuser. Gute Erfahrungen macht das Team damit, dass die Kinder auf dem Weg verschiedene Naturmaterialien sammeln. «Daraus entsteht dann am Schluss ein grosses Naturmandala. Dieses Gemeinschaftsbild ist sehr eindrücklich.»

Sieben Ideen für ein Pilgern mit allen Sinnen

  • Mit verbundenen Augen verschiedene Düfte erraten (Moos, Erde, etc.).
  • Mit geschlossenen Augen ein Stück barfuss laufen.
  • Naturgegenstände vorsichtig ertasten: «Wie fühlt sich das an?»
  • «Blind» zu einem Baum geführt werden. Dort alle Besonderheiten mittels tasten und riechen erkennen. «Blind» weggeführt werden und dann die Augen öffnen. Wer findet «seinen» Baum?
  • Mit Lupe und Fernglas kleine Wunder entdecken.
  • Spiel: «Ich sehe was, was du nicht siehst».
  • Hand hinter die Ohren halten und Geräusche erlauschen: «Was hörst du?» «Was noch?»

Singen verbindet und stärkt

Das gemeinsame Singen ist beim Familienpilgern ein wichtiges Element. Frau Ruedin schildert: «Beim ersten Mal hatten wir sogar Gitarre und Querflöte dabei. Inzwischen sind wir der Einfachheit halber ohne Instrumente unterwegs.» Oft werden bekannte Lieder wie z. B. «Wältwunder -Wunderwält» von Andrew Bond gewählt. Dann können alle gleich mitsingen. Weiter berichtet die freiwillig Engagierte: «Inzwischen singen wir meist nur noch ein Lied, welches uns beim ganzen Pilgerweg begleitet.» Vor allem die kleinen Kinder lieben Wiederholungen und können bald schon mitsingen.

Auf das Wesentliche konzentriert und Mut zur Improvisation

Frau Ruedin gibt Einblick, was sich beim Familienpilgern in St. Gallen in den letzten Jahren verändert und weiterentwickelt hat. «Am Anfang haben wir die Kinder mit Infos und Ideen überschüttet. Wir haben viel erzählt und vorbereitet. Jetzt sind unsere Geschichten und Impulse kurz und konzentriert. Die Kinder und Familien können selbst viel entdecken und erzählen. So werden wir den unterschiedlichen Altersstufen gerecht.»

Auf alle Fälle gehört zum Pilgern mit kleinen Kindern Platz für Spontanes und Unvorhergesehenes. «Wir wissen ja auch nie so genau, wie viele Familien kommen und wie alt die Kinder sind.» Es ist ratsam, ein Erste-Hilfe-Set und Traubenzucker zur Stärkung einzustecken. Je nachdem kann auch ein Gemeinschafts-Leiterwagen zum Einsatz kommen für müde Kinder und schweres Gepäck.

Gemeinsames Abschlussritual

Das Pilgern wird bewusst beendet. In manchen Jahren mit einem Ritual und einer Kindersegnung in der St. Gallener Kathedrale. Darauf folgt ein gemeinsames Picknick im Innenhof. 2020 endet das Pilgern bei einer Feuerstelle. Dort gibt es ein Abschlussritual. Danach kann am Feuer «gebrätelt» werden, wozu jede Familie ihr Picknick selber mitbringt. So oder so ist Frau Ruedin vom gemeinsamen Essen als Schlusspunkt überzeugt.

Das schätzen Teilnehmende

  • Niederschwellig, da ohne Anmeldung.
  • Quality-Time mit der eigenen Familie.
  • Neue Familien kennenlernen.
  • Natur erleben, spielerische Elemente und religiöse Impulse verbinden sich.

Kooperationen stärken

Herausfordernd ist es, neue Familien anzusprechen. Da braucht es viel Beziehungsarbeit und Kreativität. Frau Ruedin kann sich gut vorstellen, dass Familienpilgern ökumenisch durchgeführt wird. Auch macht sie den Vorschlag, Kooperationspartner zu suchen. Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Z. B. Startpunkt bei einem Bauernhof oder Einbindung von familienfreundlichen Vereinen.

Diese Punkte stehen in St. Gallen auf dem Flyer

  • Startpunkt und Uhrzeit.
  • Kurzbeschreibung des Weges, damit sich die Familien darauf einstellen können. Z. B. «Der Weg geht über einen Hügel».
  • Wetterfeste Kleidung, Zwischenverpflegung und Familienpicknick mitbringen.
  • Keine Anmeldung.
  • Findet bei jedem Wetter statt.
  • Kontaktperson mit Natelnummer.
  • Kinderwagen, Velos und Leiterwagen willkommen.
  • Weg gehen als Kind, Mutter, Vater, Grossmutter, Grossvater, Paten, Nachbarn.

 Danke an Natacha Ruedin für das Good-practice-Beispiel aus St. Gallen.

 

Fotos

Katholische Kirche im Lebensraum St. Gallen