Lernende mit ihren Kompetenzen in der digitalen Welt wahrnehmen

Es ist ein Allgemeinplatz, dass vor allem für Kinder- und Jugendliche das Internet als Teil ihrer sozialen Wirklichkeit selbstverständlich geworden ist. Dabei stellen oftmals die digitalen Kommunikationswege, die Social Media, wie YouTube, Instagram, WhatsApp und Snapchat (MPFS 2018, 35) für sie das Wesen des Internets dar – sie kennen das Internet oftmals nur in dieser Form – und es war so für sie schon immer da! Doch zu dieser Gruppe gesellen sich mehr und mehr „Silver Surfer“ oder „Digital Immigrants“, d.h. Personen, die nicht mit dieser Internetkommunikation aufgewachsen sind, sondern sich diese nach und nach aneignen. So sind für das Wachstum der Offliner zu Onlinern hauptsächlich die Internetnutzer ab 50 Jahren verantwortlich; diese erschließen immer mehr digitale Räume (vgl. ARD/ZDF 2018).

Gerade Lehrende in ganz unterschiedlichen kirchlichen Bildungsinstitutionen, die nicht mit diesem Medium aufgewachsen sind, oder sich diesen bisher verwehrt haben, müssen sich diesem Sachverhalt gewahr werden: Ein Heranwachsen ganz ohne digitale Medien ist in Industrienationen kaum mehr möglich.

Auf mindestens zweierlei Weisen macht sich dies bemerkbar: Zum einen sind die damit einhergehenden digitalen Technologieträger, z.B. Smartphones und Tablets, fest in der Lebenswelt der Lernenden größtenteils als Werkzeug der Kommunikation, Unterhaltung und Informationsbeschaffung verankert und zum anderen sind gerade die Themen und Inhalte, die über diese digitalen Kanäle transportiert werden, oftmals dass, was die Lernenden wirklich angeht. Beide Faktoren bedingen eine Veränderung der schulischen und außerschulen Lehr- und Lernarrangements, da „sich durch außerschulische Mediennutzung die kenntnis-, fähigkeits- und motivationsbezogenen Voraussetzungen für den Fachunterricht ändern‘“ (Tulodziecki 1997, 31) könnten.

Ein Anspruch an schulische Lehrkräfte, den man zweifelsfrei auch auf Lehrende in außerschulischen Bereichen übertragen könnte, ist der, wie die Konferenz der Kultusminister der Länder es in ihrem Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ ausweist, indem sie erklärt: „Alle Lehrkräfte müssen selbst über allgemeine Medienkompetenz verfügen und in ihren fachlichen Zuständigkeiten zugleich ‚Medienexperten‘ werden.“(KMK 2016, 24).

Insbesondere die fachspezifische Medienkompetenz, also die für den jeweiligen Fachunterricht benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten, digitale Medien selbst einzusetzen (Mediendidaktik) und die Themen, die damit verbunden sind, aus der jeweiligen Fachperspektive zu reflektieren (Medienerziehung), sind für die religiöse Bildungsarbeit wichtig (vgl. Nord & Zipernovszky 2017).

In diesem Fachbeitrag liegt der Fokus auf den fachdidaktischen Herausforderungen, wenn es um die Integration digitaler Medien in religiöse Lernprozesse geht.

Digitale Medien und neue didaktische Ansätze

Ein wesentliches Problem in Bezug auf diese neuen Technologien in Bildungsszenarien, welches von Borko, Whitcomb und Liston zusammenfassend identifiziert wurde, ist, dass Lehrkräfte in ihrer eigenen Bildungserfahrung keine tragfähigen pädagogischen Konzepte in Bezug auf die Integration digitaler Technologien erlebt haben. Das gilt sowohl für die Hochschulbildung als auch für die selbst erfahrene Schulbildung (vgl. Borko, Whitcomb & Liston 2009).

Die „Kultur der Digitalität“ (vgl. Stalder 2016) vermag jedoch neue Wissens- und Lernformen mit sich zu bringen. Wenn wir Didaktik als “Lehre und Wissenschaft vom Lernen und Lehren in ihren Wechselbeziehungen sowie mit ihren Voraussetzungen und Bedingungen” (Tulodziecki, Herzig & Blömeke 2017, 270) begreifen, muss sich diese auf die neuen Kulturtechniken einstellen. Keinesfalls bedeutet dies, dass vorangegangene Errungenschaften wie das Lesen und Schreiben in den Hintergrund treten dürfen. Vielmehr erhalten sie im Medium Internet eine neue Qualität und hinzu gesellen sich andersartige Formen der Kommunikation: Bild (Emojis), Audio und Video, die sich die Lehrkraft fachspezifisch aneignen muss.

Neben veränderten Kommunikationsformen treten neue Geräte mit zahlreichen möglichen Anwendungsszenarien in den Klassenraum: Whiteboards, Tablets und Smartphones, um einige wenige zu nennen. Deren Integration wirft die Frage nach der geeigneten Didaktik auf – bzw. dem Verhältnis von Methodik und Didaktik. „Klassisch“ findet sich bei Klafki (vgl. u.a. Klafki 1975, 76) immer wieder der Verweis, dass Didaktik vor Methodik geht – die Methode ist nur ein „Mittler“.

Im Berliner (vgl. Heimann, Otto & Schulz 1979) bzw. Berner (vgl. Furrer 2009) Modell stehen Medien und Methoden als relevantere Faktoren im Fokus: „Habe ich die technischen Mittel oder muss ich den Weg ändern, weil sie mir nicht zur Verfügung stehen?“ Es entstehen wechselseitige Beziehungen aus Didaktik und Methode. Vor diesem Hintergrund ist es höchst fraglich, dass Zierer (2017) wieder den tradierten Ansatz aufgreift und im Hinblick auf die Digitalisierungsprozesse „Pädagogik vor Technik“ proklamiert. Dieser zunächst einfache Grundsatz übersieht nicht nur die Möglichkeitsräume digitaler Technologien, sondern auch den Fakt, dass Methodik per se immer auch einen Einfluss auf didaktische Entscheidungsprozesse hat. Krommer zeigt dabei folgende Analogie auf: „Gesetzt den Fall, man plane statt einer Unterrichtsstunde eine Reise. Auch hier hat es den Anschein, als könne man zunächst das Ziel festlegen und müsse erst in einem zweiten Schritt darüber nachdenken, mit welchem Transportmittel sich dieses Ziel am bequemsten und schnellsten erreichen lässt. Doch dieses vermeintliche Primat des Reiseziels gegenüber dem Transportmittel ist das Resultat einer stark eingeengten Perspektive. Denn welche Ziele realistischerweise in den Blick genommen werden, hängt in entscheidendem Maße von den verfügbaren Transportmitteln ab.“ (Krommer 2015, 40f.)

Postuliert man konsequent das Primat der Didaktik, greift man nicht das Potenzial des neuen Leitmediums auf. Nichtsdestotrotz darf auch eine zu enge Sicht auf die technologischen Möglichkeiten nicht didaktische Überlegungen maßlos überschatten. Die Verfügbarkeit von Tablets legitimiert also nicht, dass das Medium immer im Unterrichtsprozess vorkommen muss (vgl. Krommer 2014). Insgesamt sollte gelten: „Wenn es um den Einsatz neuer Medien im Unterricht geht, dürfen weder das schiere Vorhandensein der Technik noch medienunabhängig festgelegte Zieldimensionen noch die unreflektierte Orientierung an der Lebenswelt Grundlagen der Unterrichtsplanung sein.“ (Krommer 2015, 42)

Die Frage, die sich hieraus ergibt, ist, welche Didaktik sich gegenüber der Medienintegration inhaltlich und (fach-)didaktisch als tragfähig gestaltet? Anhand eines Vorgehensmodells zur Planung von kompetenzorientiertem Unterricht am religionspädagogischen Fortbildungszentrum der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern möchte ich die Überlegungen konkretisieren.

Zunächst gestaltet sich das schematische Vorgehen wie in Abbildung 1 ersichtlich. In Schritt 1 wird dabei zunächst die zu erwerbende Kompetenz hinterfragt, welche in Schritt 2 konkret einer Anwendungssituation zugeschrieben wird. Anschließend, in Schritt 3, wird die Frage nach den geeigneten Inhalten, Methoden und Medien gestellt.

Bedenkenswert ist dabei jedoch, dass neue Technologien, wie Krommer (2015) es beschreibt, die Lernwege verändern können. Vielmehr noch können neue Kompetenzerwartungen an die Lernenden entstehen, wie sie beispielsweise die KMK als Kompetenzen in der digitalen Welt formuliert hat. Neue Technologien verändern zudem auch Inhalte, wie zuvor und im Fachbeitrag vom August hinreichend dargestellt wurde (vgl. Abbildung 2).

 

Eine grundlegende generalisierende didaktische Fundierung steht noch aus. Jedoch lassen einzelne didaktische Modelle bzw. Frameworks eigene Erprobungen im Unterricht zu.

Anzuführende Modelle sind etwa: Mobile Learning Framework (Kearny u.a. 2012), Dagstuhl-Dreieck (GI 2016), SAMR-Modell (Puentedura 2012) und 4K-Modell (P21 OJ). Siehe Literaturhinweise.

Dabei gilt es zunächst, eine eigene digitale Didaktik zu entwickeln. Nutzt man digitale Werkzeuge etwa, um individualisiertes, eigenverantwortliches und selbstgesteuertes Lernen zu implementieren, so „werden diese weniger zum Einüben von Wissen und Fertigkeiten und stärker für das Erkunden und Experimentieren von Themen und Problemen und zur Erstellung (multimedialer) Produkte genutzt. Fachliche und zeitliche Grenzen werden zunehmend aufgebrochen“ (Prasse 2012, 24).

Erst bei einer gleichwertigen Betrachtung von Technologie und Didaktik (vgl. Abbildung 3) kann das Unterrichtsgeschehen gemeinsam erweitert werden und Lehr- und Lernszenarien bilden, die bisherige Technologien nicht abbilden und erfüllen konnten.

Damit einhergehend entstehen neue Kompetenzerwartungen bzw. neue Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs und des Kompetenzausbaus. So können nach Heinen und Kerres (2015) unter dem Einsatz digitaler Technologien folgende Aspekte Einzug finden:

  • vielfältige Materialien
  • multimediale Zugänge
  • die Förderung von Zusammenarbeit
  • Interaktivität von Lernen
  • flexible Gestaltung von Lernzeiten und -orten
  • Eröffnen von neuen Lernräumen
  • Sichtbarmachen von Lernen.

In den folgenden Fachbeiträgen dieser Reihe, werden Sie einige dieser Eigenschaften wiederfinden.

Viele Chancen und Fragen für die religiöse Bildungsarbeit

Digitalisierung macht nicht vor der Bildung halt, sondern verortet sich zunehmend darin. Jedenfalls dann, wenn sich das Lehren und Lernen auf didaktische Innovationen einlässt und wenn nicht zuletzt die Lehrenden ein neues Selbstverständnis ihrer Rolle entwickeln. Eine herausfordernde Frage ist künftig die, welche Position die Lehrkraft in den Bildungsszenarien einnimmt: Moderator, Techniker, Begleiter. Schon jetzt zeigt sich, dass digitale Technologien ebenfalls neue Gestaltungsräume für Lehrkräfte öffnen, indem diese individuelle Rückmeldung zu einzelnen Schülerinnen und Schülern erhalten, Lernvideos zur Verfügung stellen und virtuelle Begegnungsräume schaffen.

Die Ausstattung der Bildungsorte muss auf die benötigten digitalen Werkzeuge hin überprüft werden (vgl. Palkowitsch-Kühl 2018). Fortbildungen müssen digitale Didaktiken integrieren und relevante fachwissenschaftliche Themen identifizieren und auch behandeln. Lehrende müssen individuell gecoacht, (digitale) Materialien (OER) entwickelt und freigeben werden. Darüber hinaus muss eruiert werden, was die Aufgaben von Lehrkräften und die von Big Data gestützten Systemen im Unterricht zukünftig sein werden.

Denn: Die Ideologie der Digitalisierung in Bildungsprozessen, wenn man davon sprechen kann, ist noch mitgestaltbar und nicht nur einzelnen Großkonzernen überlassen. Die APP ist austauschbar, die Idee und Konstruktion des Lernwegs vielmehr von der Zielkompetenz (oftmals durch einen Lehrplan vorgegeben) und den neuen Möglichkeitsräumen digitaler Technologien abhängig. Lassen Sie sich nicht einschränken.

Teile des vorliegenden Fachbeitrags sind aus Palkowitsch-Kühl, Jens (2019): Digitalisierung als Herausforderung für Unterrichtsprozesse religiöser Bildung. In: Loccumer Pelikan. Herausforderung Digitalisierung, Nr. 1, 10-15 entnommen.